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Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Titel: Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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auf einen Schlag.« Während er nach vorne zum Führerhaus ging, warteten die jungen Frauen folgsam darauf, daß er sie auf die Straße hinunterließ. Als die letzte von der hydraulischen Hebebühne gestiegen war, kam der Fahrer wieder nach hinten und verpaßte jeder einen Bauchladen aus Pappe.
    Gefüllt waren die Bauchläden mit kleinen Gratispäckchen Newport Lights.
    Mary Ann schauderte es. Da kamen sie also her! Diese bemitleidenswerten Geschöpfe, die an jeder Straßenecke standen und einem Gratiszigaretten oder Glücksmünzen aus Holz oder knallige Reklamezettel für immer neue Billigrestaurants aufdrängten.
    Es gab schlimmere Jobs als ihren. Und nicht zu knapp.
    Sie ging schneller. Sie hatte schon eine Viertelstunde Verspätung.
     
    Als Mary Ann in die Agentur kam, seufzte sie erleichtert auf. Mr. Halcyon war immer noch in der Besprechung mit den Leuten von Adorable.
    Sie öffnete die Krawattenschachtel und besah sich ihren Kauf noch einmal. Die Krawatte war aus Seide mit kastanienbraunen und marineblauen Streifen. Konservativ, aber … mit Biß. Genau das, was Norman fehlte.
    Danach kritzelte sie lange mit einem Flair-Stift auf ihrem Notizblock herum, bis sie sich für folgendes entschied:
     
    hör nicht hin, wenn sie höhnen
    du seist alt und ich sei jung
    denn ich bin alt genug zur einsicht
    und jung genug zur nachsicht bist du
     
    Nicht schlecht, wie sie fand. Außerdem waren Gedichte eine wunderbare Therapie, mit deren Hilfe sie in die besseren Zeiten an der Central High entfliehen konnte, als sie für die Plume and Palette allerhand angsterfüllte Verse im Stil von E. E. Cummings produziert hatte.
    Doch mit diesem Gedicht fühlte sie sich nicht so recht wohl, denn es rührte ein bißchen zu direkt an das defensive Gefühl, das sie in ihrer Beziehung zu Norman empfand.
    Beziehung? Bisher hatten sie sich bloß geküßt. Und noch dazu war es ein völlig zahmer Gutenachtkuß gewesen. Norman war wie … ein großer Bruder? Nein … aber auch nicht wie ein Onkel.
    Mary Ann empfand für Norman das, was sie als Zwölfjährige für Gregory Peck empfunden hatte, als sie wegen Wer die Nachtigall stört fünfmal ins Kino gegangen war … nur um sich diesem gänsehäutigen, trockenkehligen, rückenrieselnden Gefühl hinzugeben, das sie jedesmal überkam, wenn Atticus Finch auf der Leinwand erschien.
    Aber Norman Neal Williams war kein Gregory Peck.
    Mary Ann zerriß das Gedicht.
     
    Mr. Halcyon war noch in seiner Besprechung, als plötzlich Beauchamp um Mary Ann herumscharwenzelte.
    »Na, ist es anstrengend heute?«
    »Es geht so«, antwortete sie mit betonter Gleichgültigkeit.
    »Du siehst ein bißchen … geschafft aus.«
    »Das ist wahrscheinlich mein Biorhythmus.« Mary Ann wußte nicht genau, was das heißen sollte, aber so blieb alles auf einer unpersönlichen Ebene.
    »Darf ich dich heute abend zu einem Drink ausführen?«
    Sie fixierte ihn mit kaltem Blick. »Ich kann dich nicht mehr ernst nehmen. Echt nicht.«
    »Ich wollte nur ein bißchen nett sein.«
    »Vielen herzlichen Dank. Aber heute abend bin ich schon verabredet.«
    »Aha! Und wohin entführt dich der Glückliche?«
    Sie spannte einen Bogen Papier in die Schreibmaschine. »Ich wüßte nicht, was dich das …«
    »Ach, komm! Ich möchte es wirklich gerne wissen.«
    Sie begann zu tippen. »Das Lokal heißt Beach Chalet.«
    »Ah.«
    »Kennst du es?«
    »Klar. Du wirst begeistert sein. Die Veterans of Foreign Wars treffen sich dort.«
    Als sie zu ihm hochschaute, sah sie, wie ein höhnisches Grinsen über sein Gesicht huschte. Mit einem zackigen militärischen Gruß ging er auf den Flur hinaus. »Überfriß dich nicht an den Erdnüssen, Kleines!«
New York, New York
    Den Hörer ihres Rokokotelefons ans Ohr gepreßt, schwang D’orothea ihre Zigarette – eine Sherman mit goldenem Filter -wie einen Dirigentenstab.
    Sie telefonierte mal wieder mit New York.
    Zum viertenmal in zwei Tagen.
    Mona rekelte sich auf der neuen Büffelleder-Chaiselongue von Billy Gaylord und verfolgte das Geschehen mit stillem Zynismus. Sie hatte es satt, mit New York zu konkurrieren.
    »Ach, Bobby«, kreischte D’orothea, »das ist diesen Monat schon das dritte Mal, daß du Lina ins Toilet mitgenommen hast … Das weiß ich ja alles, mein Schatz, aber … Laß dir das gesagt sein, Bobby. Einmal, das ist noch Underground-Sightseeing, aber dreimal, das ist nur noch krank … Aber es ist doch gar nicht vergleichbar mit dem Anvil. Das Anvil war früher was richtig Tolles.

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