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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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Black Mountains. Man kann auch die Malverns sehen.«
    Eine Weile stand sie schweigend neben ihm, dann sagte sie: »Ich begreif es nicht.«
    »Was?«
    »Daß du das hier alles … sausen läßt. Daß du es dieser fettärschigen Zicke da unten in den Schoß fallen läßt.«
    Er wandte sich ab. »Ich lasse ihr Easley nicht in den Schoß fallen.«
    »Na, wie würdest du es denn nennen?«
    »Mona …« Er zupfte einen Klumpen Moos von der Brüstung. »Easley ist nichts als Arbeit, und das bin ich gründlich leid. Glaub mir, ich weiß, was du meinst … aber ich kann mich nicht zweiteilen.«
    Verloren in der Weite der Landschaft, rumpelte ein weißer Lieferwagen auf der schmalen Straße von Easley-on-Fen heran. »Wenn ich mich nicht irre«, sagte Teddy, »ist das der Partyservice.«
    »Sieht so aus«, sagte sie. Es gab ihr irgendwie ein mulmiges Gefühl, daß der spontane Entschluß, den sie an einem verregneten Abend in Seattle gefaßt hatte, nun so viele Leute auf den Plan rief.
    Teddy spürte ihre Verunsicherung. »Alles in Ordnung, Mona?«
    »Klar.«
    »Der Tabak, hm?«
    »Ja. Ich glaube, ich leg mich mal ein bißchen hin.«
    »Natürlich«, sagte er mit einem mitfühlenden Lächeln. »Ruh dich aus.«
    Sie tätschelte ihm die Schulter und stieg zurück ins Dunkel des Dachstuhls. Als sie in ihrem Zimmer war, schloß sie leise die Tür zur Musikantengalerie, denn in der großen Halle war noch immer das gräßliche Surren der Polaroidkamera zu hören. Trotzdem fand sie keinen Schlaf. Also wappnete sie sich für eine Auseinandersetzung mit Michael und ging zu seinem Zimmer.
    Er saß auf der Fensterbank und hatte eine alte Ausgabe der Country Life auf den Knien. Wilfred lag bäuchlings auf dem Bett und sah ihn an. Als sie sich räusperte, schaute Michael träge zur Tür. »Was ist?« fragte er. »Noch ’ne Standpauke?«
    Sie rang sich ein Lächeln ab. »Ich dachte, wir können vielleicht ein bißchen reden.«
    »Na gut«, meinte er gleichgültig.
    Wilfred machte einen Purzelbaum vom Bett. »Und Kinder ab ins Spielzimmer.« Bevor er ging, gab er Mona einen flüchtigen Kuß auf die Wange.
    »Du bist kein Kind«, sagte sie.
    »Zwanzig Minuten«, verkündete Wilfred.
    Sie ging durchs Zimmer und setzte sich in den Sessel am Fenster. »Er ist so ein Schatz«, sagte sie.
    Michael zuckte mit den Schultern. »Denkt er von dir anscheinend auch.«
    »Na, er ist schwer in dich verknallt, das seh ich sofort.«
    Er blinzelte sie an und schaute aus dem Fenster.
    »Ist das ein Problem?« fragte sie.
    »Ich weiß nicht. Ich frag mich halt … was er macht, wenn ich wieder nach Hause fahr.«
    »Und seine … Familie?«
    »Er hat keine. Er hat bei seinem Vater gewohnt, aber der ist abgehauen. Er hat einen umgebracht.«
    Mona runzelte die Stirn. »Dann ist Wilfred so vielleicht besser dran.«
    »Na, ich weiß nicht. Ist es besser, wenn man niemanden mehr hat?«
    Sie spürte, daß ihm die Sache an die Nieren ging, und versuchte, die Situation zu retten. »Ich kann damit leben«, sagte sie lächelnd.
    Mit ungerührter Miene wandte er sich von ihr ab. Sie merkte, wie sehr er sich verändert hatte. Fast schien es, als hätte er seine Schnodderigkeit an Wilfred abgegeben. Seine Ironie war verpufft, und er wirkte kalt und farblos.
    »Irgendwas zum Ausrichten?« fragte er schließlich.
    »Äh … für wen?«
    »Für die Barbary Lane. Seit Jahren hat keiner mehr von dir gehört.«
    »So lange ist es gar nicht«, meinte sie.
    »Dann eben anderthalb Jahre. Wie war’s damit?«
    Sie sah Wilfred am Hang des Hügels. Ein kleiner Fleck, gelb und braun, der zum Pavillon hinaufstieg. Aus der Entfernung wirkte er wie eine Hummel. »Ich mußte mit mir ins reine kommen«, sagte sie.
    »Ich weiß. Seit neunzehnhundertsiebenundsechzig.«
    »Das ist ungerecht.«
    »Dann bleib mir weg mit dieser piefigen Ausrede.«
    »Mouse …«
    »Herrgott, du hättest wenigstens eine Ansichtskarte schreiben können! Du bist weggezogen und hast uns nie deine neue Adresse gesagt. Deine Nummer war nicht rauszukriegen …«
    »Die meiste Zeit hatte ich gar kein Telefon.«
    »Aber du hättest uns anrufen können. Was ist denn, Mona? Willst du uns abhängen? Was ist los, verdammt noch mal? Weißt du, wie weh du Mrs. Madrigal tust?«
    Dieser Vorwurf schmerzte ein bißchen. »Paß mal auf«, sagte sie, »ich wollte mich bei euch nicht melden, bis ich meinen Kram auf der Reihe hab. Ihr wußtet genau, daß ich nicht tot bin. Ich wollte einfach aus heiterem Himmel bei euch aufkreuzen und

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