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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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schade.«
    »Wirklich?«
    Das fade Lächeln kehrte zurück. »Wenigstens würde Ihnen dann Ihre kleine Scharade viel leichter fallen, Moira. Das meinte ich damit.« Sie nahm das Foto und beäugte es. »Ich fürchte, hier ist zuwenig Licht.«
    »Mona«, sagte Mona.
    »Mmm?«
    »Ich heiße Mona, nicht Moira.«
    »Oh. Schuldigung.« Sie besah sich wieder das Foto.
    »Ich nehme an, Sie brauchen mich hier nicht.«
    »Nein, wozu auch?« sagte die Frau lächelnd.
    Mona verließ mit energischen Schritten den Saal und machte erst halt, als sie das ganze Haus durchquert hatte und im Wohnzimmer vor Teddy stand. »Verdammt noch mal, warum hast du mir das angetan?«
    Mit einem zerknitterten Lächeln schaute er von seinem Martin-Amis-Roman hoch. »Ist sie nicht ein Schatz?«
    »Du hättest mir sagen können, daß sie Bescheid weiß.«
    »Tja, ich … sie weiß es also?«
    »Ja. Hast du das nicht gewußt?«
    »Nein … na ja, ich hätte es mir denken können. Ihr entgeht so gut wie nichts. Entschuldige, Mona. Über mich wird nun mal geredet. Ich habe es nie verhindern können, und … es ist unvermeidlich, daß du auch was abkriegst. Ist sie schon weg?«
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ist mir auch egal.«
    »Mir auch.« Er legte das Buch weg. »Ich habe noch ein bißchen von dem wunderbaren Haschisch. Wollen wir uns ein wenig auf dem Wehrgang ergehen und sie in Ruhe durch die Hallen stapfen lassen?«
    »Prima Idee«, sagte sie.
    Sie folgte ihm nach oben in das wasserfleckige Schlafzimmer, von wo man die Treppe zum Dachgeschoß erreichte. Während sie mit eingezogenen Köpfen einem schmalen Lichtstreif entgegenstiegen, wölbten sich über ihnen die Dachbalken von Easley House wie die geschwärzten Rippen eines prähistorischen Tiers. Teddy drückte die Tür zum Wehrgang auf, und einen Augenblick wurden sie von der grellen Aprilsonne geblendet.
    Mona schaute zu den Bergen im Westen hinüber und genoß die duftende Frühlingsbrise. »Genau das richtige Plätzchen für uns.«
    Teddys Augen blitzten vergnügt. »Allerdings, ja.« Mit zwei Fingern stocherte er in der Brusttasche seines grau-schwarz gesprenkelten Tweedjacketts und förderte einen seiner dicken Tabak-und-Hasch-Joints zutage. Er zündete ihn mit seinem Bic an, nahm einen Zug und hielt ihn Mona hin. »Ich sollte dich vorwarnen wegen meinem Vater«, sagte er.
    Sie sah ihn argwöhnisch an, während sie an dem Joint zog und die Luft anhielt.
    »Eigentlich soll es keine Warnung sein. Eher … eine Erklärung.«
    Sie nickte.
    »Daddy ist … äh … geistig verwirrt.«
    Sie blies den Rauch aus.
    »Ich garantier dir, es ist ganz harmlos. Die Ärzte sagen, er hat sich gewissermaßen … von der Realität zurückgezogen und in eine glücklichere Zeit geflüchtet … seine glücklichste, um es genau zu sagen. Er durchlebt sie immer wieder. Es gibt einen medizinischen Fachausdruck dafür …« Er nahm ihr den Joint wieder ab. »Aber er fällt mir im Moment nicht ein.«
    »Was war denn seine glücklichste Zeit?« fragte sie.
    »Tja, anscheinend die vierzehn Tage, die er bei den Annenbergs verbracht hat.«
    »Bei wem?«
    »Ach … ich dachte, die kennt in Kalifornien jeder. Walter und Lee Annenberg. Er war amerikanischer Botschafter in London, als Daddy ihn kennenlernte. Sie haben sich auf Anhieb verstanden, Daddy und Walter … und dann haben Mummy und Daddy einige Zeit in der Villa der Annenbergs in Palm Springs verbracht. Und das hat Daddy nicht bewältigt, fürchte ich.«
    »Du willst sagen …«
    Er nickte. »Er denkt, er ist noch immer da.«
    Sie schmunzelte. »Du nimmst mich auf den Arm, nicht?«
    Er schüttelte lächelnd den Kopf.
    »Er läuft in Gloucestershire rum und denkt, er ist in Palm Springs?«
    Er schüttelte erneut den Kopf. »Auf den Scillies.«
    »Wie?«
    »Er läuft auf den Scillies rum und denkt, er ist in Palm Springs.«
    »Oh.«
    Er bot ihr den Joint wieder an.
    »Nein danke«, sagte sie. »Von dem Tabak wird mir schwindelig.«
    »Zum Glück haben sich die schlimmeren Symptome größtenteils gelegt. Die weißen Schuhe, die Golfklamotten und den ganzen Quatsch hat Mummy ihm abgewöhnt.«
    »Das ist gut.«
    »Ich dachte nur, du solltest es wissen. Es kann manchmal verdammt peinlich werden.«
    »Danke«, sagte sie. »Das ist nett von dir.«
    Er seufzte tief und schaute wieder in die Landschaft hinaus.
    »Ist das wirklich Wales?« fragte sie.
    »Nein«, antwortete er, »eigentlich nicht. Aber vom Pavillon aus kann man Wales sehen. Die entferntesten Berge sind die

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