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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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Singleton«, sagte sie nach einem flüchtigen Händedruck. Sie sah sich den Engländer genauer an und stellte fest, daß er Brian sehr ähnlich sah. Er hatte die gleichen kastanienbraunen Locken, die gleichen ausdrucksvollen Augen (wenn auch nicht haselnußbraun) und unterhalb der kleinen Mulde am Halsansatz das gleiche Büschel Haare.
    Schon, sein Gesicht war etwas schmaler – erinnerte mehr an einen Fuchs als an einen Bären –, aber selbst einem neutralen Beobachter wäre die Ähnlichkeit aufgefallen. Es gab allerdings einen Altersunterschied – der Mann schien erst Ende zwanzig zu sein.
    Er merkte, daß sie in Gedanken woanders war. »Ähm … Sie haben doch nicht abgeschaltet, oder?«
    Sie lächelte entschuldigend. »Einen Augenblick vielleicht. Sie haben große Ähnlichkeit mit … jemand, den ich kenne.« – »Mit meinem Mann« hätte sich viel zu intim angehört. Trotzdem klang die Bemerkung immer noch viel zu einladend, und sie fügte rasch hinzu: »Sie müssen von hier sein.«
    »Nein«, entgegnete er. »Von dort.« Er zeigte mit einem langen, eleganten Finger auf das Schiff.
    Sie spürte, daß es ihm Spaß machte, sie im dunkeln tappen zu lassen. »Sie … äh … Sie machen Urlaub?«
    Er schüttelte die Eiswürfel in seinem Glas. »Mein Verstand vielleicht.« Er schaute durch die regennassen Fensterscheiben der Bar, und sein Blick heftete sich an die königliche Jacht, die inzwischen nur noch ein winziger verschwommener dunkelblauer Fleck auf der grauen Fläche der Bucht war. »Das wäre durchaus möglich.«
    Sie blinzelte ihn ratlos an. »Also, jetzt komme ich nicht mehr mit.«
    Er klimperte wieder mit seinen Eiswürfeln. »Es ist eigentlich ganz einfach. Ich hab freihändig abgemustert.«
    Sie schaltete sofort. Konnte sie noch den nächsten Sendetermin schaffen? War sie hier über die einzige echte Story in diesem Medienzirkus gestolpert?
    »Kennen Sie den Ausdruck?« fragte er.
    »Ja … natürlich. Sie gehören also zur Mannschaft?«
    »Oh, nein, nein, nein. Ich bin Offizier. « Er machte den Barkeeper auf sich aufmerksam, indem er sein Glas hob. »Darf ich?« fragte er Mary Ann mit einer Kopfbewegung zu ihrem Glas.
    »Oh … nein danke.« War es zu spät, um ihr Team noch abzufangen? »Also, es tut mir leid, daß ich so begriffsstutzig bin, aber … Sie hatten Dienst auf der Britannia und … sind einfach weggeblieben?«
    »Genau.«
    »Sie sind … desertiert?«
    Er lachte herzhaft. »Von Mrs. Thatcher zu Mr. Reagan?« Einen Augenblick strich er sich mit den Fingern nachdenklich über das wohlgeformte Kinn. »Aber Sie sind schon auf der richtigen Spur. Ich nehme an, man könnte sagen, ich bin desertiert. Ja … ja …«
    Er schien sich das durch den Kopf gehen zu lassen, als fände er es höchst interessant. Der Barkeeper brachte den Drink. Er prostete Mary Ann zu und sagte: »Auf den neuen Simon Bardill und die reizende Dame, die sein dunkles Geheimnis mit ihm teilt.«
    Sie hob ihr leeres Glas. »Ich fühle mich geehrt … äh … Lieutenant Bardill?«
    »Nicht schlecht. Sie haben Lieutenant sogar richtig ausgesprochen.«
    Sie deutete eine bescheidene Verbeugung an. In seiner Gegenwart kam sie sich tatsächlich seltsam geehrt vor. »Aber ein Engländer tut sich doch keine Eiswürfel in den Drink, oder?«
    Er furchte die Stirn. »Wann waren Sie zuletzt in England?«
    »Leider noch gar nicht.«
    Er lächelte. »Muß Ihnen nicht leid tun. Wir haben inzwischen auch Eiswürfel in den Bars. Oder die jedenfalls.«
    »Aha.«
    »Es hat sich viel geändert. Sehr viel.« Er schaute wieder auf die Bucht hinaus, als wollte er sich vergewissern, daß das letzte Bindeglied zu England verschwunden war. Das war der Fall.
    Er drehte sich wieder zu ihr um. »Aber die Vorstellung«, sagte er, »der letzte hochnäsige Yachtie gewesen zu sein …«
    Sie gab ihm mit einem raschen Lächeln zu verstehen, daß sie den Spitznamen für die Crew der Britannia erkannt hatte. »Wird man Sie nicht vermissen?«
    »Oh … ganz schrecklich, würde ich sagen. Ich bin ein liebenswerter Mensch, finden Sie nicht?«
    »Ich meinte Ihre Funktion. Was wird passieren, wenn Sie nicht auf Ihrem Posten erscheinen … was immer Sie da zu tun haben?«
    »Ich bin Funkoffizier«, sagte er. »Und es ist bereits passiert … was immer es sein mag. Ich denke, sie werden einen anderen Witzbold aus guter Familie gefunden haben, der meinen Platz einnimmt. Haben Sie San Francisco schon mal von Point Bonita aus gesehen?«
    Die Frage kam so

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