Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
unvermittelt, daß sie einen Augenblick brauchte, bis sie antworten konnte. »Schon oft.«
»Ist es nicht ein herrlicher Anblick?« An der Ernsthaftigkeit seines Tonfalls merkte sie, daß er nicht eine Einladung ausgesprochen, sondern nur eine simple Frage gestellt hatte.
»Wunderschön«, sagte sie.
»San Francisco darf man Leuten nie von Point Bonita aus zeigen, wenn sie es zum erstenmal sehen.« Er trank hastig einen Schluck von seinem Scotch und setzte das Glas mit bewußter Grandezza ab. »Sonst kann es passieren, daß sie Amok laufen.«
Sie quittierte diese etwas zu neckische Erklärung mit einem skeptischen Lächeln. »Sie haben es also wegen des Panoramas getan?«
»Gewissermaßen, ja.«
»Würden Sie das vor einer Kamera wiederholen?«
Er sah sie einen Augenblick an, dann schüttelte er den Kopf und gab ein kurzes resigniertes Lachen von sich. »Ich hätte es wissen müssen.«
»Ich meine, es ist wirklich eine phantastische …«
»Für welchen Sender arbeiten Sie?«
Es hörte sich an, als fühle er sich betrogen. Das verdroß sie. Schließlich waren sie nur zwei Leute, die sich in einer Bar unterhielten. »Sie müssen nicht, wenn Sie nicht wollen«, sagte sie.
Der Lieutenant strich mit dem Zeigefinger um den Rand seines Glases. »Wollen Sie eine Story, oder wollen Sie einen Freund?«
»Einen Freund«, antwortete sie ohne Zögern.
Er zwinkerte ihr zu. »Ausgezeichnete Wahl.«
Das wußte sie selbst. Ein Freund würde vielleicht doch noch nachgeben und ihr zu einer Story verhelfen. Ein Freund, der ihr vertraute und sich darauf verlassen konnte, daß sie ihn im bestmöglichen Licht erscheinen ließ.
Diese Überlegung setzte sie Brian auseinander, als sie am Abend vor ihren Lean-Cuisine-Fertiggerichten saßen.
»Er wird vielleicht anrufen«, fügte sie hinzu.
»Anrufen? Du hast ihm unsere Nummer gegeben?«
Sie nickte. »Obwohl ich bezweifle, daß er sich melden wird.«
»Vielleicht aber doch?«
»Vielleicht. Brian, er kennt hier keine Menschenseele. Ich hab ihm gesagt, er soll sich melden, wenn wir ihm bei irgendwas helfen sollen.«
Brian nickte bedächtig. »So eine Art … Willkommensgeste.«
Sie warf ihm über den Tisch einen Blick zu und pustete auf ihr dampfendes Essen. »Du bist nicht eifersüchtig. Tu erst gar nicht so, Brian.«
»Wer tut denn so?«
»Wir werden beide einen netten neuen Freund gewinnen. Herrgott, er war auf der königlichen Jacht beschäftigt. Das macht ihn mindestens interessant.«
Er stach die Gabel in sein Essen. »Und wie heißt unser interessanter neuer Freund?«
»Simon«, sagte sie mürrisch. »Simon Bardill.«
»Wie sieht er aus?«
»Verdammt gut. Na ja, ziemlich. Er sieht dir übrigens sehr ähnlich.«
Brian strich sich nachdenklich übers Kinn. »Warum finde ich das beunruhigend?«
Sie verdrehte die Augen. »Was, in Gottes Namen, soll ich mit einer jüngeren, englischen Ausgabe von dir?«
»Geht einem glatt über den Verstand«, gab er zurück.
Zeltlager
Als die Morgendämmerung über Death Valley kroch, erwachte Michael in seinem Schlafsack und lauschte den Geräuschen der Wüste – das Zwitschern winziger Vögel, das hektische Wuseln von Känguruhratten, das sanfte Säuseln des Windes in den Mesquite-Bäumen …
»Ach Mist! Die Vinaigrette ist ausgelaufen!«
Es war Scotty, ihr Koch auf dieser Expedition, der die Bestände sichtete, ehe er mit dem Frühstück begann. Sein Kummer provozierte Gelächter in Neds Zelt und auf dem kleinen Sandhügel, wo Roger und Gary unter freiem Himmel genächtigt hatten.
»Was gibt’s da zu lachen, Mensch!« schrie Scotty.
»Das ist der tuckenhafteste Spruch, den man im Death Valley je gehört hat«, war Neds Antwort.
»Wenn du was Kerliges willst«, gab der Koch beleidigt zurück, »versuch’s da drüben bei dem dritten Wohnwagen von rechts. Die essen Cornedbeefpampe und Eipulver. Wir Tucken leisten uns Eier Benedikt, bitte schön.«
Diese Ankündigung wurde mit allgemeinem Juchzen aufgenommen.
Bei einem Zelt – wahrscheinlich dem von Douglas und Paul – wurde der Reißverschluß aufgezogen. Steinchen knirschten unter schweren Stiefeln. Dann war Pauls unausgeschlafene Stimme zu hören: »Weiß jemand, wo’s zum Waschraum geht?«
Wieder ein Lachen von Ned. »Sag bloß, du hast den Quatsch geglaubt!«
»Hör mal, Dumpfbacke, du hast gesagt, es gibt fließend Wasser.«
Roger kam ihm zu Hilfe. »Die Straße runter und dann rechts.«
»Wo ist mein Rasierzeug?« fragte Paul.
»Hinter der Kühlbox«,
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