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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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als Frauenarzt.«
    »Ehrlich?«
    Michael nickte. »Die Witze kenn ich alle schon.«
    Der Junge griente. »Wie lange war er dein Lover?«
    »Schwer zu sagen. Gekannt hab ich ihn ungefähr sieben Jahre.«
    »Hat er nicht mit dir zusammengelebt?«
    »Einen Teil der Zeit. Am Anfang nicht, dann haben wir zusammengelebt, und dann haben wir uns getrennt. Als wir wieder zusammenkamen, hatte er den Job auf dem Schiff und war viel unterwegs. Ich glaube, da waren wir am glücklichsten. Immer mal zehn Tage oder drei Wochen zusammen. Ich habe immer alles mögliche gesammelt, was ich ihm erzählen konnte, wenn er nach Hause kam.«
    »Was denn so?«
    »Ach, weißt du … halt so alles mögliche. Sachen aus der Zeitung. Sachen, die wir beide mochten … oder über die wir verschiedener Meinung waren. Barbra Streisand, zum Beispiel. Ich kann sie nicht leiden, und er hat sie verehrt, also war es meine Aufgabe, allen Barbra-Klatsch zu sammeln, der ihm auf See vielleicht entgangen war. Es war ein gräßlicher Fluch, aber ich hab’s getan.« Er lächelte. »Ich tu es noch. «
    »Hast du’s mit anderen Typen getrieben, wenn er weg war?«
    »Oh, klar. Und er auch. Wir haben nicht mehr zusammen geschlafen.«
    »Warum nicht?«
    Michael zuckte die Schultern. »Das mit dem Sex hat sich einfach gelegt. Wir waren zu sehr wie Brüder. Das wär uns … wie Inzest vorgekommen.«
    Der Junge runzelte die Stirn. »Das ist echt schade.«
    »Ach, ich weiß nicht. Ich denke, es hat uns die Freiheit gegeben, uns zu lieben. Weil wir nicht mehr so viel voneinander verlangt haben. Unser Verhältnis wurde immer enger. Wir hatten tollen Sex mit anderen und eine prima Freundschaft miteinander. Es war nicht das, was ich mir erwartet hatte, aber es schien besser zu funktionieren als alles andere.«
    »Aber«, meinte der Junge nachdenklich, »das ist dann nicht grade ein Lover.«
    »Oh, ich weiß. Und wir haben auch immer dafür gesorgt, daß unsere Boyfriends es wußten. Wir haben gesagt: ›Jon ist nur ein Freund … Michael wohnt nur mit mir zusammen … Wir waren mal verliebt, aber jetzt sind wir bloß Freunde.‹ Wenn du je mal der Dritte in so einer Situation warst, dann weißt du, daß diese Unterscheidung rein gar nichts bedeutet. Diese Typen sind wie Ehepartner … und wenn der eine einen Seitensprung macht, erfährt der andere grundsätzlich als letzter davon.«
    »Aber ihr habt es gewußt«, sagte Wilfred.
    Michael nickte. »In dieser letzten Zeit, ja.«
    »Dann … ist das doch besser als nichts.«
    Michael lächelte ihn an. »Es ist besser als alles.«
    »Wissen deine Eltern, daß du schwul bist?«
    »Klar«, sagte Michael. »Ein paar Monate, bevor Jon krank wurde, haben wir sie in Florida besucht.« Die Erinnerung brachte ihn zum Schmunzeln. »Sie mochten ihn sehr … ich hatte nichts anderes erwartet … aber wer weiß, wie sie sich unser Verhältnis vorgestellt haben. Komisch, nicht? Dabei hätten sie sich gar keine Gedanken machen müssen. Ich hatte fünf Jahre gebraucht, um sie daran zu gewöhnen, daß ich mit Männern schlafe … und da bringe ich ihnen einen mit, mit dem ich’s gar nicht mehr mache.«
    »Wo hast du ihn kennengelernt?« fragte Wilfred.
    »Auf einer Rollschuhbahn. Wir sind zusammengestoßen.«
    »Ehrlich?«
    »Ich kriegte Nasenbluten. Er war so wahnsinnig ritterlich, das war gar nicht zu fassen.« Er schaute aus dem Fenster, wo ein grünes Tal mit zwei mausgrauen Dörfern vorbeizog. »Anschließend sind wir zu mir gegangen. Mona hat uns am nächsten Morgen ein Frühstück ans Bett gebracht.«
    »Du meinst … die von Harrods.«
    »Ja. Ich hab damals mit ihr zusammengewohnt.« Über den fernen Bergen war jetzt da und dort ein Stück blauer Himmel zu erkennen. Er fühlte sich plötzlich so zuversichtlich, daß es ihm fast pervers vorkam. »Ich hoffe, du wirst sie kennenlernen können. Sie ist in Wirklichkeit gar keine … wie hast du sie genannt?«
    »Edelzicke.«
    »Ja. Das ist sie gar nicht. Sie ist einfach ’ne ganz patente, normale Lesbe.«
    Wilfred machte ein skeptisches Gesicht.
    »Du wirst sehn«, sagte Michael. »Ich hoffe es jedenfalls.«
    In Moreton-in-Marsh empfahl ihnen der Bahnhofsvorsteher eine ehemalige Römerstraße namens Fosse Way im Ortszentrum. Die Häuser zu beiden Seiten waren aus rötlichgrauem Cotswold-Kalkstein und vorwiegend dem Tourismus gewidmet – Porzellanläden, Postkartenboutiquen, Teestuben. Am Ende der Straße, wo die Kirche war, gab es einen Pub namens Black Bear. Sie fanden einen freien

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