Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
Tisch in einer Ecke des verräucherten Schankraums.
»Siehst du ’ne Bedienung?« fragte Michael.
»Ich glaub, das macht Doll.«
»Wer?«
»Hinterm Tresen, Mann. Die mit dem Lidschatten.«
»Woher weißt du ihren Namen?«
Wilfred zeigte mit einem selbstgefälligen Lächeln auf ein Schild über dem Tresen: IHRE WIRTSLEUTE – DOLL UND FRED. »Sonst noch Fragen?«
»Ja. Was wird mit unserm … kleinen Freund?« Er zeigte auf Dingos Karton.
»Ja, ja. Gleich. Wie wär’s erst mal mit einem Cider?«
»Gute Idee.«
Wilfred ging an den Tresen, und Michael studierte derweil die Titel in der Musikbox. Er entdeckte Duran Duran und die Boystown Gang, San Franciscos schwule Rockgruppe. Das globale Dorf wurde mit jeder Sekunde kleiner. Er setzte sich wieder und flüchtete sich in Träumereien von uralten Gasthöfen und knorrigen Tippelbrüdern und »Etwas ist im Busch«.
»Sieg«, verkündete Wilfred strahlend und stellte zwei Gläser auf den Tisch.
»Wie das?«
»Ich hab die olle Doll nach Roughton gefragt.«
»Und?«
»Also zunächst mal … Roughton ist Lord Roughton.«
Michael pfiff durch die Zähne.
»Außerdem ist das Anwesen sehr stattlich … eins der größten in den Cotswolds.«
Michael überlegte. »Ich schätze, da können wir nicht einfach hingehen und klingeln.«
Der Junge lächelte geheimnisvoll. »Nicht direkt.«
»Wilfred … mach keine Faxen.«
»Tu ich ja gar nicht. Es gibt eine Führung.«
»Du meinst … durch das Anwesen?«
Wilfred nickte. »Ein Tourbus fährt direkt hin.«
»Dann könnten wir …«
»Ich hab zwei Plätze gebucht. Für morgen früh.«
Es war fast zu gut, um wahr zu sein. Michael konnte nur noch den Kopf schütteln.
»War das falsch?« fragte Wilfred.
»Machst du Witze? Es ist perfekt. Hat sie gesagt, ob man hier übernachten kann?«
»Im ersten Stock. Da haben sie Zimmer. Der Bus fährt morgen früh um zehn hier ab. Zehn Pfund für uns beide. Für die Tour, meine ich. Das Zimmer kostet noch mal acht.«
Michael stand auf und tastete nach seiner Brieftasche. »Dann sollte ich …«
»Schon erledigt, Mann.«
»Also, Wilfred …«
»Du kannst ja das Abendessen bezahlen. Setz dich wieder hin. Trink deinen Cider.«
Das tat Michael, und er prostete dem Jungen anerkennend zu.
Wilfred erwiderte die Geste, ohne eine Miene zu verziehen. »Ich werd mal ’n prima Ehemann.«
Bei Einbruch der Dämmerung hatte es völlig aufgeklart. Sie gingen zum Ortsrand und fanden eine Wiese, die von einem dichten Buchengehölz umgeben war. Wilfred stellte Dingos Karton auf die Erde. Er machte es sehr zeremoniell und würdevoll. Dann zog er am einen Ende das Klebeband ab.
Der Fuchs kam ein wenig benommen heraus. Er stand regungslos da und beobachtete den Menschen, der ihn so lange eingesperrt hatte.
»Mach schon«, sagte Wilfred. »Hau ab.«
Der Fuchs lief ein paar Schritte. Er war noch unsicher auf den Beinen. Dann blieb er wieder stehen.
»Er will nicht weg«, sagte der Junge.
»Doch. Die Umgebung ist ihm nur fremd.«
Dingo wartete noch einen Augenblick und ging mit sich zu Rate. Dann lief er los, auf die dunklen Bäume zu, in die Freiheit.
Die Rockwitwe läßt bitten
Brian war sicher, daß es ein kalorienreiches Wochenende wer den würde, darum joggte er am Samstag morgen zwei Meilen zusätzlich. Auf dem Heimweg ging er in die Feuerwehrwache am Russian Hill und nahm einen der rot und silbern bedruckten Babysticker mit, die er in North Beach an vielen Fenstern gesehen hatte.
Mit dem Aufkleber zeigte man den Feuerwehrleuten, welches Fenster sie einschlagen mußten, um ein Kind zu retten. Er war bedruckt mit dem Bild eines unvorstellbar wackeren Feuerwehrmanns, der ein kleines Mädchen in den Armen hält.
Die Aufkleber mochten spießig sein, aber sie waren praktisch.
Im übrigen waren sie nicht halb so spießig wie der Sticker, den Chip Hardesty auf der hinteren Stoßstange seines Saab hatte: HABEN SIE HEUTE SCHON MIT IHREM KIND GESCHMUST? Das Ding machte ihn jedesmal wahnsinnig, wenn er an Hardestys Haus vorbeikam.
In der Barbary Lane schrubbte Mrs. Madrigal gerade den schleimigen Moosbelag von den Stufen vor dem Haus. »Es wird so rutschig«, sagte sie und schaute hoch. »Ich hatte Angst, daß mal jemand stürzt.«
»Da würde ich mir keine Sorgen machen«, meinte er.
Sie richtete sich auf und wischte ihre Hände an der Schürze ab. »Um etwas muß ich mir Sorgen machen. Es ist so ruhig hier. Hat denn niemand Probleme?«
»Wenn’s Ihnen so dringend ist«, sagte er
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