Stadtluft Macht Frei
Reichen, die sich groß eingekauft hatten und alles besaßen, was die anderen entbehrten: vor allem Fleisch und helles, leicht zu kauendes Brot.
[ Menü ]
|30| Städtetypen – Römerstädte, Handelsplätze, Marktorte
S tadt ist nicht gleich Stadt. Keine mittelalterliche Stadt war wie die andere. Jede hatte ihr eigenes Aussehen, ihre eigene Geschichte, ihre besonderen Bedingungen, unter denen sie entstand, sich entwickelte, weiterwuchs. Ein Blick auf das Ganze muss unterscheiden, sachlich und zeitlich. Die Stadt des frühen Mittelalters, also etwa der Zeit vom 4. bis zum 10. Jahrhundert – das war zunächst vor allem die Stadt, die aus der Antike kam. In gewandelter Gestalt lebten viele antike Städte weiter, auch über alle Veränderungen, die das politische Ende des Römischen Reiches im Westen mit sich brachte, hinaus. Wir reden von einer „Transformation der Antike“.
Zwar versiegte das Wasser in den Thermen, und wozu sie einst dienten – der Entspannung, der Erholung und dem körperlichen Wohlbefinden –, mochte bald ganz in Vergessenheit geraten sein. Die Leitungen, die oftmals über lange Entfernungen hinweg das lebenswichtige Nass von den Bergen in die Städte brachten, zerbrachen; niemand besserte die schadhaften Stellen mehr aus. Die Spiele in den Theatern und Arenen hörten auf; es gab andere Dinge, die den Menschen nun wichtiger schienen.
Die Zahl der Bewohner ging im Ganzen spürbar zurück. Aus der antiken Millionenstadt Rom beispielsweise wurde im Laufe des Mittelalters ein Ort von etwa 20 000 bis 30 000 Einwohnern. Dennoch haben vor allem im Mittelmeerraum eine Reihe von Städten das Ende des Römischen Reiches im Westen auf erstaunliche Weise überdauert.
|31| Eine dieser Städte ist das heute in Südfrankreich gelegene Marseille. Marseille war ursprünglich eine Gründung kleinasiatischer Griechen (um 600 v. Chr.). Auch nach der Eingliederung ins Römische Reich besaß die Stadt noch lange einen griechischen Charakter. Marseille liegt am Mittelmeer, dem
mare nostrum
der Römer. Die Stadt besaß noch im frühen Mittelalter einen intakten, aus antiker Zeit stammenden Hafen. Für die Verhältnisse der römischen Kaiserzeit (1.– 4. Jahrhundert n. Chr.) war der Hafen, verglichen mit den großen Schiffsanlegeplätzen von Ostia oder Alexandria, die nachts von mächtigen Leuchttürmen erhellt wurden, eher klein. Doch den bescheideneren Verhältnissen der Merowingerzeit (5.– 8. Jahrhundert) genügte er vollkommen; er verhalf der Siedlung zu einem weitgehend intakten wirtschaftlichen Leben. Wo Schiffe einen Hafen sicher erreichen konnten, kamen Waren an – aus nah und fern. Waren für das tägliche Leben, welche die Grundversorgung sicherten, aber auch Luxusgüter für den nichtalltäglichen Gebrauch. Waren, die direkt an Ort und Stelle verbraucht, aber auch solche, die von hier aus von anderen Händlern rhôneaufwärts weiter ins Binnenland transportiert wurden.
Wie der berühmte Dichter und Redner Sidonius Apollinaris berichtet, kaufte sein Briefbote Amantius seine Waren am Hafen von Marseille, wenn ein Schiff eingelaufen war. Größere Umsätze waren |33| durchaus keine Seltenheit. Nach dem Bericht des fränkischen Geschichtsschreibers Gregor von Tours im 6. Jahrhundert wurde die komplette Ladung eines aus Spanien gekommenen Schiffes im Hafen von Marseille verkauft. Bereits damals lockten Häfen auch Diebe und allerlei zwielichtiges Gesindel an – wie denn nicht! Nach der Erzählung des gleichen Chronisten sollen im Hafen von Marseille einmal 70 mit Öl und Fischsauce gefüllte Gefäße gestohlen worden sein. Ebenfalls bezeugt sind für diese Zeit in Marseille königliche Lagerhäuser, in denen Käufe getätigt werden konnten. Solche Lagerhäuser, die man durchaus als frühe Formen der Kaufhäuser bezeichnen kann, sind nördlich der Alpen erst Jahrhunderte später bezeugt.
Das Ende des weströmischen Reiches
Im Jahr 395 von Kaiser Theodosius dem Großen in ein West- und ein Ostreich aufgeteilt, wurde 476 der letzte weströmische Kaiser Romulus Augustulus vom Germanen Odoaker abgesetzt. Odoaker wurde zum König von Italien ausgerufen, ein Schritt, den der oströmische (byzantinische) Kaiser Zenon anerkannte. Das oströmische Kaiserreich bestand – mit einer Unterbrechung im 13. Jahrhundert – das gesamte Mittelalter über fort und ging erst 1453, mit der Eroberung Konstantinopels durch die Türken, unter. Das Kaisertum im Westen wurde 800 von Karl dem Großen, 962 vom
Weitere Kostenlose Bücher