Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben
Verkehrs- und die Baupolitik. Denn hierzulande verursachen der Verkehr sowie die Heizung und Energieversorgung (Warmwasser und Strom) der Gebäude knapp die Hälfte aller CO ₂-Emissionen. Würden alle Stadtoberen und ihre Einwohner mögliche Klimaschutzmaßnahmen stringent umsetzen, der Wirkungsgrad wäre durch die Massenwirkung gigantisch.
Was hingegen an deutschen Stadträndern und auf dem Land vor sich geht, ist das Gegenteil von nachhaltig. Dort gruben sich in den vergangenen zehn Jahren Bagger auf einer Fläche so groß wie Köln in Natur- und Agrarlandschaft, um Straßen oder Siedlungen zu bauen. Allein 2010 betrug der Flächenverbrauch in Deutschland 77 Hektar pro Tag, das sind 8,88 Quadratmeter pro Sekunde, wie der Raumplaner Frank Schröter vom Braunschweiger Institut für Verkehr und Stadtbauwesen berechnet hat. Wer über Naturzerstörung im tropischen Regenwald klagt, sollte sich diesen Landfraß auch vor der eigenen Haustür bewusst machen – und dann seinen Wohnort einem Klimacheck unterziehen.
2. Nicht die kompakt gebauten Großstädte mit ihren hohen Häusern und Straßenschluchten, mit ihren Kanalisations- und U-Bahn-Tunnels sind ein ökologisches Desaster, sondern die Neubauviertel außerhalb der Stadt, die ausufernden Suburbias der Pendler mit ihren Doppelgaragen, die Paradiese der Landlustigen mitten in der Natur. Dieser »Einfamilienhaus-mit-Garten«-Lebensstil verwandelt ehemals grüne Wiesen oder Äcker in versiegeltes Bauland, steigert automatisch den Verkehr und bringt im Schnitt einen wesentlich höheren CO ₂-Verbrauch mit sich als der urbane Lebensstil der Städter.
Folgen wir einmal einer glücklichen Kleinfamilie, die ihre Zukunft außerhalb der nahen Großstadt plant. Findet sie einen verlassenen Vierseithof zum Renovieren, schön für sie und all die mehr oder weniger nah wohnenden Handwerker, die nun über Monate mit ihren Transportern über die Dörfer tuckeln, um Dachpappe, Fenster, Zement, Fliesen etc. anzuliefern. Findet die Familie keinen Vierseithof – und das ist der Normalfall –, beginnt ihr neues Leben entweder in einem weniger pittoresken Altbau oder in einem Neubaugebiet.
50000 neue Eigenheime entstehen jedes Jahr, der Großteil davon außerhalb der Großstädte. Ins Neubaugebiet führt aber nur selten eine Tram oder S-Bahn, stattdessen meist eine neue Straße. Vorher war da nix, vielleicht Feld, vielleicht Wald, vielleicht auch nur eine verwilderte Brennnesselbrache – aber immerhin kein Beton. Neben der Straße müssen kilometerlange Leitungen für Trinkwasser und Rohre zur Schmutzwasserentsorgung in der Erde verbuddelt werden, außerdem Kabel aller Art. In den Keller kommt ein Tank für Heizöl oder Erdgas. Neubauten müssen die Standards der Energieeinsparverordnung (EnEV) einhalten – theoretisch zumindest. Doch selbst wenn Wände und Dach gedämmt werden und Fenster und Türen alle Normen erfüllen, die frisch bezogenen vier Wände sind im Schnitt ein Drittel größer als die Wohnung in der Stadt. Wurden sie nicht im energieneutralen Passivhausstandard errichtet, brauchen sie auch deutlich mehr Ressourcen, um kuschlig warm und erleuchtet zu werden.
Altbauten scheinen auf den ersten Blick günstig im Vergleich zu einer hohen Innenstadtmiete. Viele Stadtflüchter kalkulieren aber nicht den extra Energieverbrauch, den sie mit ihrem Rauszug verursachen: Laut Bundesbauministerium ist ein Großteil der Häuser, die vor 1980 erbaut wurden, energetisch nicht umfassend saniert. Die Geschichte meiner Schwester ist da klassisch: Das Doppelhaus aus den 1930er-Jahren, das sie mit ihrer Familie bezog, war einfach nicht warm zu kriegen, so viel sie auch heizte. Die Haustür undicht, die Wände dünn, das Dach ungedämmt, keine Chance. Nach dem ersten Winter bauten sie in der Wohnküche einen Kachelofen ein und kauften eine neue Haustür. Inzwischen wird eisern gespart für eine energetische Sanierung, Kosten von rund 25000 Euro stehen an. Die muss man erst mal haben.
Mein Neffe wiederum hat Glück, denn in der Nachbarschaft leben viele Kinder, es gibt daher schon Kitas und Schulen und Sportvereine. Andernfalls, oder genügt die Dorfschule dem hehren Anspruch der Neudazugezogenen nicht, beginnt die tägliche Pendelei per Elterntaxi (s. Kapitel 4). Sind die Kinder vors Schultor kutschiert, fahren die Erwachsenen weiter zur Arbeit – meist in die Stadt, wohin sonst; abends geht es zurück. Ein Ausflug zu Freunden, ins Kino, zum Großeinkauf: Jedes Mal steigt die Familie
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