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Stadtmutanten (German Edition)

Stadtmutanten (German Edition)

Titel: Stadtmutanten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Strahl
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das Töten keinen Spaß bereitet hat. Das allein zählt. Mein Vater hat im Krieg damals einige deiner Landleute getötet. Und obwohl die Nazis ihm genügend Grund gegeben haben, dies zu genießen, hat er das Töten gehasst. Und das ist gut so.«
    »Danke.«
    »Keine Ursache.«
     

 
     
     
     
    10 EINE ANDERE ART VON SHOPPING
     
     
    Ben, Lila und ich verbrachten den Rest des Abends vor dem Fernseher. Marty war wieder in seine Wohnung gegangen, um ein wenig zu spielen und natürlich Murats Gras anzutesten. Über unsere Situation wurde in den Nachrichten nicht mehr berichtet. Es war genau wie bei jedem anderen schlimmen Ereignis auf der Welt, wenn ein paar Tage ins Land gezogen sind. Es gibt immer irgendwo auf der Welt eine blutige Revolution, eine Naturkatastrophe oder einen Terroranschlag, der die brennenden News des Vortages in ihrer Wirkung relativiert. Wir schauten einen Tatort und gingen früh ins Bett, um am nächsten Tag die Koksbeschaffung mit klarem Verstand zu planen. Vor der Bettruhe teilten wir die Wohnung unter uns auf. Im Arbeitszimmer stand ein Klappsofa, falls mal Besuch kam. Ben und ich bauten zudem im Kinderzimmer ein weiteres Bett aus einer Gästematratze, die wir normalerweise als Unterlage zum Toben mit Kai benutzten. Lila nahm freiwillig das Büro. Ben nahm das Kinderzimmer und freute sich anscheinend darauf. Vielleicht gab ihm die Aussicht, im Reich eines Kleinkindes zu schlafen, ein Stück seiner Kindheit zurück, die nicht sehr glücklich gewesen war, wie er mir einmal inmitten einer durchgesoffenen Nacht eröffnet hatte. Ich schlief im Wohn- und Schlafzimmer und fühlte mich gut dabei. Als ich den Kopf auf das Kopfkissen legte, umarmte ich meine Decke und stellte mir vor, Katie läge neben mir. Dann stellte ich mir Kai dazu vor und schlief ein.
    Am nächsten Morgen wachte ich gut ausgeruht auf und war zum ersten Mal seit Beginn der Krise nicht müde. Der Tag der Evakuierung war tatsächlich erst zwei Nächte entfernt. Mir kam die Zeitspanne deutlich länger vor. Ich stand auf und wagte einen Blick aus dem Fenster. Draußen schien alles ruhig. In Filmen ist in vergleichbaren Situationen nach zwei Tagen schon die Hölle los. In unserem Fall hatte das Schicksal es gut gemeint. Die vereinzelten Angriffe waren gefährlich, aber draußen schlichen noch keine Armeen der Finsternis herum, sondern allenfalls ein paar versprengte dunkle Jäger. Der Rest der Wohnung war still. Ich ging pinkeln und sah, dass beide Zimmertüren geöffnet waren. In der Küche lag eine Nachricht für mich.
    »Sind zu Marty beim Brunch. Komm runter, wenn du fertig bist. Ben und Lila.«
    Ich nutzte zunächst die Chance, einmal die Wohnung für mich zu haben. Ich sog die Atmosphäre auf wie Seelennahrung. Ich konnte Katie und Kai noch immer spüren, das war ein gutes Gefühl. Dieses Gefühl festhaltend ging ich duschen. Es gelang nicht ganz, mir einzureden, meine Lieben seien mit mir in der Wohnung, aber ihre Präsenz hing an jedem Fläschchen, das zu Katie gehörte, an Kais Töpfchen, an der Art, wie das Bad arrangiert war. Ich war für einen Moment gleichzeitig glücklich und unendlich traurig. Aber es war eine gute, romantische Art von Trauer. Es war der Beweis, echte Liebe zu empfinden, ein Gefühl, das sich im Alltag oft nicht so zeigte. Nach dem Duschen betrachtete ich mich im Spiegel. Die Wunde war wieder stark mutiert. Die Mutation war weit bis in den Brustbereich fortgeschritten, weiter als beim ersten Mal. Dafür hatte es bis hierhin diesmal deutlich länger gedauert als vor dem Kokain. Hoffnung keimte auf, dass die Entwicklung sich nach ein paar weiteren Behandlungen mit dem Kokain umkehren würde und die Mutationen komplett aufgehalten werden könnte. Ich bestaunte den Rest meines Körpers. Ich war schon vorher nicht gänzlich aus der Form gewesen. Jetzt aber sah ich einen anderen Marek Winter im Spiegel. Einen drahtigen Mann mit sehnigen Muskeln an Stellen, die vorher untrainiert gewesen waren. Wenn dies ein Nebeneffekt der Infektion war, so war er nicht unwillkommen. Ich fühlte mich stark. Wir würden alles schaffen, davon war ich felsenfest überzeugt. Ich zog mich an, machte mir einen Kaffee und ging auf den Balkon, um den Moment um eine Zigarettenlänge auszudehnen. Draußen hörte ich, wie in einiger Entfernung gekämpft wurde, hier und da hörte ich Schreie. Von wo die Geräusche kamen, war schwer auszumachen, da draußen kaum noch Fahrzeuge unterwegs waren und man so Geräusche aus weitaus größeren

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