Stadtmutanten (German Edition)
band ich das keinem auf die Nase, da es zwangsläufig falsch verstanden wurde. Ben und ich waren seit der Nacht im Inferno durch dick und dünn gegangen und hatten existenzielle Krisen zusammen gemeistert, uns gegenseitig unser Leben anvertraut. Ich vertraute ihm. Momentan war er sogar der einzige verfügbare Mensch, dem ich ohne Einschränkung vertraute.
Ich checkte ein letztes Mal meine Ausrüstung, dann stiefelte ich los: Zurück über den Waller Friedhof nach Gröpelingen, dann an der Hafengrenze entlang bis in die Werftstraße. Dann stand ich vor dem Haus. Es lag genauso friedlich da, wie wir es hinterlassen hatten. Mit dem Unterschied, dass im oberen Stockwerk das Licht brannte. Jemand war zuhause und ich wettete, dass es Ben und seine Flamme waren. Ich war nervös wie ein Teenager bei seinem ersten Date und rauchte erstmal eine. Dann nahm ich meinen Mut zusammen und drückte den Klingelknopf. Ich hörte das gedämpfte Geräusch der Klingel, aber nichts weiter. Keine Stimmen, keine Schritte. Ich klingelte noch einmal, diesmal etwas nachdrücklicher. Dann klopfte ich gegen die Haustür. Schließlich ließ ich eine ganze Salve von Klopfern auf die Tür niederprasseln und klingelte Sturm. Schließlich tat sich etwas: Im oberen Stockwerk wurde ein Fenster aufgerissen. Jemand schaute hinaus. Ich ging einen Schritt zurück, und zeigte mich. Nach ein paar Sekunden hörte ich ein Grunzen. Dann rief die gleiche grunzende Stimme meinen Namen: »Marek«. Die Stimme eines Totenmannes, kein Zweifel. Da er meinen Namen kannte und imstande war, ihn auszusprechen wusste ich, dass es Ben war. Das Fenster wurde geschlossen und nach kurzer Zeit hörte ich jemanden auf die Haustür zupoltern. Ich spannte meinen Körper, um gegebenenfalls die Flucht anzutreten, sollte Ben mir in seinem jetzigen Zustand nicht wohl gesonnen sein. Dann öffnete sich die Tür. Vor mir stand zweifelsohne Ben, allerdings eine Version von ihm, die ich nie zuvor gesehen hatte. Sein Gesicht war gezeichnet von der Mutation, aber er war nicht entstellt. Seine Augen waren noch immer wachsam und nicht so stumpf wie bei manchen anderen Exemplaren. Einige Sekunden standen wir so Angesicht zu Angesicht. Dann nickte er grunzend, packte mich am Arm und zog mich hinein. Als ich drinnen war, verschloss er die Tür hinter uns und zog mich weiter ins Wohnzimmer. Er schob mich auf einen Sessel und machte eine Geste, die ich als eine Art »warte hier« interpretierte. Dann ging er in den Hausflur, legte den Kopf in den Nacken und grunzte laut.
»Rita!«
Ich schaute mich um. Ben und seine schlafende Schönheit hatten es trotz ihres Zustands tatsächlich geschafft, die Bude in Ordnung zu bringen. Ich war erstaunt. Keine Leichen, kein Blut, kein Gehirn. Die Möbel zurechtgerückt. Unrat beseitigt. Das Haus wirkte nicht mehr heimgesucht. Es wirkte bewohnt. Dann hörte ich stolpernde Schritte auf der Treppe und da kam sie: Rita, die Herzensdame meines Freundes. Ben deutete ihr, ins Wohnzimmer zu gehen. Sie schlurfte auf mich zu und reichte mir grunzend die Hand. Dann ließ sie sich auf das gegenüber liegende Sofa plumpsen. Sie war nun komplett angezogen und hatte auch nicht den typisch strengen Körpergeruch der meisten Beißer, die wir getroffen hatten. Sie hatte offenbar geduscht. Meine Überraschung wuchs mit jeder Minute. Ich war als Totenmann ein wildes Tier geworden, das kaum seine Triebe im Zaum hatte. Diese beiden verhielten sich - von ihrer ungesunden Hautfarbe und dem Gegrunze mal abgesehen - beinahe wie ein normales Paar. Dann kam Ben zurück und knallte ein kleines Tütchen mit weißem Pulver auf den Tisch. Kokain. Er deutete auf mich, dann auf das Tütchen. Ich verstand. Ich hob erst einen, dann zwei, schließlich drei Finger und sah ihn fragend an. Er hob drei und grunzte. Alles klar. Ich machte also drei Lines und holte einen Geldschein aus der Tasche. Ich zog meine Line und reichte den Schein Ben. Ben nahm ihn und zog sich das Pulver in die Nase. Er sah nicht mehr so souverän aus wie zuvor, aber ich vermutete, dass ich im Auto beim Inferno weit weniger gekonnt gekokst hatte. Dann ließ er sich ins Polster fallen und gab sich den Krämpfen hin. Rita hatte größere Probleme bei der Einnahme der Droge. Schließlich leckte Ben einen Finger an, stupste ihn in das Pulver und legte ihn Rita auf die Zunge. Ein kurzer Schockmoment, dann nickte sie und machte sich ohne weitere Probleme über die verbliebene feine Linie Kokains her. Die Szene wirkte vertraut,
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