Stahlhart
Geschichte des Rolands berichtete, der das alte Rathaus bewachte, eine andere Fremdenführerin erklärte den interessierten Zuhörern den Baustil des Gebäudes der Bremer Bürgerschaft. Wieder eine andere schlenderte beim Erzählen des Märchens der Bremer Stadtmusikanten zur Ecke des Rathauses, an dessen Seite die Bronzestatue mit den vier Tierfiguren aufgestellt war. Jeder Tourist durfte einmal den Huf des Esels streicheln, was Glück bringen soll. All diese Beobachtungen verkürzten Rainer West den Weg über die Domsheide, am Hauptpostamt vorbei, zum Polizeigebäude gegenüber dem Amtsgericht.
Durch die Einfahrt für Polizeifahrzeuge erreichte er über den kleinen Innenhof die Flure. Das alte, dunkle Gemäuer wirkte von außen schon bedrohlich und einschüchternd. Innen wurde es noch beklemmender. Durch die ebenfalls alten, winzigen Fenster drang nur wenig Licht, das sich fast schon an den hohen, gegenüberliegenden Gebäuden, die den kleinen Innenhof umgaben, vorbeistehlen musste. Dementsprechend lagen die Flure mit den davon abgehenden schweren, dunklen Holztüren in einer Art Dämmerlicht. Aber diese beängstigende Umgebung beeindruckte Rainer nicht, kannte er sich doch bereits aus. Viele Male hatte er hier zu tun gehabt, Roland Ernst besucht, versucht, in den Zellen Untersuchungshäftlinge zu interviewen. Rainer klopfte an und betrat den Raum, den ihm Uta Hansen genannt hatte.
»Rainer West«, stellte er sich vor. »Ich möchte zu Frau Hansen.«
»Nehmen Sie bitte vor der Tür Platz, Frau Hansen wird Sie abholen«, wies ihn eine Schreibkraft an, die er nicht kannte. Rainer West setzte sich auf einen der Stühle, die vor dem Zimmer standen. Für Rainer eine ganz andere, neue Sicht des Flures, den er gut kannte. Bisher war er immer durchmarschiert, direkt in das Büro von Roland Ernst. Nun saß er hier als Wartender und kam sich mit einem Mal ganz klein vor. In dem düsteren Ambiente des Gebäudes fühlte man sich beinahe automatisch schuldig.
Ein emsiges Gewusel umgab ihn. Manchmal gingen Türen auf, ein Polizeibeamter führte eine Person aus dem Zimmer, oder Männer und Frauen kamen aus einem der Räume und verschwanden in einem anderen. Rainer West saß lange und wartete– oder kam es ihm nur so vor? Seine Gedanken wanderten zurück in den Harz. Er versuchte sich alles in sein Gedächtnis zurückzurufen, um eine möglichst exakte Aussage machen zu können. Hatte man Ulf und den Wagen gefunden? Die Tür neben ihm ging auf. Eine dunkelhaarige Frau trat heraus.
»Herr West, kommen Sie doch bitte mit. Ich bin Uta Hansen.«
Rainer West folgte der Beamtin durch die Schreibstube in ihr Büro. Nachdem er sich gesetzt hatte, begann er sofort: »Haben Sie meinen Schwager gefunden?«
»Bitte?«, fragte die Polizistin.
»Es geht doch um den Diebstahl meines Wagens, nehme ich an. Ist er gefunden worden?«
»Nein, Herr West, Sie sind nicht hier wegen Ihres Wagens. Was verbindet Sie mit Worpswede?«
»Was, ich verstehe nicht?« Rainer war verwirrt.
»Was ist so schwer an der Frage, welche Verbindung Sie zu Worpswede haben?«
»Nichts. Aber ich begreife nicht, was das soll.«
»Wenn es nicht schwer ist, beantworten Sie doch einfach meine Frage.«
Frau Hansen sah ihn durchdringend an.
»Mich verbindet nichts mit Worpswede. Es ist ein wunderschöner Ort. Nicht nur wir Bremer fahren am Wochenende gern mal hin, gehen spazieren, schauen uns die Künstlerwerkstätten an, trinken gemütlich Kaffee und fahren wieder nach Hause. Was interessiert Sie daran? Brauchen Sie Informationen über Ausflugsziele im Bremer Umland?«, versuchte Rainer die Stimmung etwas aufzulockern.
»Nein, dazu habe ich keine Zeit. Und in welcher Verbindung stehen Sie zur Bremer Bank?«
»Was soll das nun wieder? Viele Bremer haben ihr Konto bei der Bremer Bank, die allerdings bald in Commerzbank umbenannt wird.«
»Und wie steht es mit Ihnen? Haben Sie auch ein Konto bei der Bremer Bank?« Die Polizistin wich keinen Millimeter von ihrem Kurs ab.
»Ja, sicher. Für mich gehört es zur Heimatverbundenheit, bei der Bank mit dem Stadtnamen ein Konto zu haben. Aber bevor ich weitere Fragen beantworte, möchte ich wissen, warum ich hier bin. Das alles wirkt auf mich wie ein Verhör.«
»So weit sind wir noch lange nicht. Was wir hier jetzt machen, ist nur eine einfache Befragung. Sie sollten sich doch etwas auskennen.«
»Und wozu genau werde ich befragt? Meines Wissens habe ich in den letzten 30 Jahren niemanden umgebracht.«
Die Beamtin war
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