Stahlhart
weiter alles in den Schoß fallen, während andere sich die Finger wund schreiben und nicht mal ein wohlwollendes Nicken bekommen. Ich bin wesentlich länger bei der Zeitung als du. Ich habe als Volontär angefangen, musste hart arbeiten. Was war? Meine Volontariatszeit wurde verlängert. Danach konnte ich mich nur als freier Mitarbeiter über Wasser halten, durfte nur Zulieferarbeiten machen und selbst jetzt, obwohl in einem anderen Ressort als du, habe ich dich ständig vor der Nase. Und was war mit dir? Du kamst locker flockig hier rein, Koschnick hatte an dir gleich einen Narren gefressen. Du bekamst einen Festvertrag. Wann immer etwas Interessantes frei wurde, wurde dein Name gehandelt. Koschnick machte es dir leicht, zog dich hoch. Ich konnte machen, was ich wollte. Es ist, als seist du für mich eine unüberwindbare Mauer.«
»Jens, es tut mir leid, wenn du das alles so siehst.«
»Fängst du jetzt auch an, bei mir zu schleimen?«, funkelte Goldstein Rainer an.
»Nein, das habe ich nicht nötig. Aber wir sind Kollegen. Für die Art und Weise, wie unsere Karrieren verlaufen sind, kann ich nur bedingt etwas. Als alter Hase weißt du selbst, dass die Schreibe Einzelner unterschiedlich zu bewerten ist. Vielleicht liegt es daran. Hast du das schon mal bedacht?«
»Was meinst du, was ich mir für Gedanken gemacht habe über all die Jahre? Ich habe hin und her überlegt, was ich verändern kann. Ich wollte auch schon weggehen, aber du kennst die Situation hier in Bremen. In anderen Städten dieser Größe gibt es immer mindestens zwei Zeitungen, in Bremen nur den ›Weser Boten‹ als käufliche Zeitung. Ich hatte mich bei überregionalen Blättern beworben, aber letztlich kam kaum etwas Tragfähiges für mich heraus. Also blieb ich und musste mit dir leben. Das heißt aber nicht, dass ich das toleriere, was du tust.«
»Was ich tue?«, wurde nun auch Rainer wütend. »Was tue ich denn? Ich mache meine Arbeit, genauso wie du, mehr nicht. Und alles andere, was du mir vorwirfst, habe ich nicht zu vertreten. Ich habe mich nicht eingestellt! Ich habe mich nicht um andere Posten beworben! Und du kannst mir nicht vorwerfen, dass ich bei einem Vertragsangebot sage: Nein, ich würde lieber ein Volontariat machen. Also bleib doch bitte fair mir gegenüber.«
»Aber du kannst etwas dafür, dass du praktisch im Büro des Chefs wohnst, keinen Handschlag tust, ohne dir ein Lob von Koschnick zu holen.«
»Also soll ich Koschnick sagen, er soll mich in Ruhe lassen, er soll sich lieber um andere Mitarbeiter kümmern. Ist es das, was du willst?«
»Nein, ich will nur, dass alle gleiche Chancen haben.«
»Das ist berechtigt. Aber das müssen wir mit Koschnick klären. Ich frage mich jetzt nur, wie weit würdest du bei deiner Eifersucht gehen?«
»Was soll das denn heißen?«
»Das soll heißen, dass alles, was du sagst, aus grenzenlosem Neid beziehungsweise grenzenloser Eifersucht geboren wird. Wie weit würdest du gehen, um die unüberwindbare Mauer Rainer West aus dem Weg zu räumen? Ich wollte nur versuchen, eine, wie auch immer geartete Basis zur Zusammenarbeit zu finden, sehe aber, dass das schwierig wird, weil ich den Kopf hinhalten muss für Dinge, für die ich nichts kann. Deshalb kann ich sie auch nicht ändern, offensichtlich genauso wenig wie unser Verhältnis.«
»War’s das?«
»Ja, das war’s«, bestimmte Rainer.
Jens verließ umgehend das Archiv.
Rainer lehnte sich wieder zurück, um nachzudenken. Eine eminent wichtige Frage beschäftigte ihn: Wie weit würde Jens Goldstein in seinem tiefen, ja, man könnte fast sagen Hass gehen? Wäre er fähig, Menschen zu töten, um es Rainer in die Schuhe zu schieben? Tatsache war, Jens bewegte eine der schlimmsten Emotionen, zu denen Menschen fähig sind. Eine sehr gefährliche Emotion, weil sie unberechenbar machte. Weitere Tatsache: Jens war Motorradfahrer. Er war zudem zeitlich ungebunden, um sich aus der Redaktion ohne Probleme herauszuziehen. Keiner konnte ihn kontrollieren. Er brauchte sich nur mit einer Recherchebegründung abzumelden. Jens wäre auch an Rainers Kugelschreiber gekommen. Hatte er ihn nicht auch bewundert und als außergewöhnliches Stück eingestuft? Jens hatte in etwa einen Überblick über Rainers Zeitablauf. Er wusste jeweils, wenn er, Rainer, weg war. Und letztlich war das Wichtigste vorhanden, ein Motiv. Wenn er Rainer die Geschichte anhängte, hätte er freie Bahn, die ›unüberwindbare Mauer‹ wäre weg. Es konnte einiges gegen Jens
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