Stahlhart
gezogenes »Mmmmhhh, mmmhhh« drang durch das Paketband. ›Plopp, plopp‹, machte es trocken, und sie sank zurück an die Sofalehne, sackte in sich zusammen und kippte zur Seite. Stille und tödliche Ruhe legten sich über den Raum.
»Verdammte Scheiße, warum musst du auch so blöd sein«, sprach der Täter in Richtung des Herrn Herzwurm. »Euch ist doch sicher gesagt worden, ihr sollt nicht die Helden spielen.« Der Schwarzgekleidete blickte sich im Raum um. Er prüfte, ob sich irgendetwas im Raum befand, was ihn verriet. Aber er fand nichts. Er hatte nichts angefasst und trug darüber hinaus Handschuhe. Das Paketband hatte er vorher nur mit Handschuhen berührt. Es gab nichts, was er fürchten musste. Nur der Weg nach draußen war noch gefährlich. Das Telefon klingelte. Der Täter warf einen kurzen Blick in die Richtung des Geräusches. Er fühlte sich gestört. Dann begann er einen kurzen Rundgang durch das Haus, um sich mit den Örtlichkeiten halbwegs vertraut zu machen. Nachdem er alles gesehen hatte, wobei er besonderes Augenmerk auf Fluchtwege legte, setzte er sich in einen Sessel im Schlafzimmer und wartete. Zwischendurch klingelte wiederholt das Telefon.
Als die Nacht hereinbrach, stand der Schwarzgekleidete auf, ging ans Fenster, das nach hinten zum Garten hinaus zeigte, und beobachtete die Gegend. Es war ruhig, keine Menschenseele zu sehen. Kein Wunder, grenzten doch lediglich andere Gärten an den der Familie Herzwurm. Der Täter verschaffte sich einen Überblick, um den richtigen Weg im Dunkeln zu finden. Dann ging er ins Wohnzimmer, warf einen letzten Blick auf den Tatort, öffnete die Terrassentür und wollte gerade gehen, als sich ein Schlüssel im Türschloss drehte.
Derweil saß Rainer West an der Seite seiner Britta im Krankenhaus. Wie jeden Tag war Britta bei ihrem Bruder, streichelte seine Hand, sprach leise auf ihn ein oder strich ihm übers Haar. Sie hatte die Hoffnung auf ein Erwachen nicht aufgegeben. Obwohl Rainer West wenig tun konnte, wollte er doch in der Nähe seiner Partnerin sein.
Der Schwarzgekleidete in der Wohnung der Familie Herzwurm zögerte einen Moment. Ein kurzer Gedanke: Bleiben und einen weiteren Mord begehen oder verschwinden? Er entschied sich für Letzteres. Leise setzte er einen Fuß auf die Terrasse, drei schnelle lautlose Schritte folgten, dann war er, von Büschen verdeckt, auf dem Rasen, schlich sich bis zum Zaun, flankte hinüber und verschwand in der Dunkelheit.
Die Schwester von Ralf Herzwurm hatte sich Sorgen gemacht, mehrmals vergeblich angerufen und sich dann entschlossen, zu ihrem Bruder zu fahren. Beide hatten vorher besprochen, dass sie abends telefonieren wollten. Als sie das dunkle Haus sah und niemanden zu Hause vermutete, hatte sie ihren Ersatzschlüssel eingesetzt.
»Ralf«, rief sie trotzdem, nachdem sie im Eingangsbereich stand. »Ralf, Christiane, seid ihr da?« Erwartungsgemäß kam keine Antwort. Sie machte Licht, schaute sich kurz um und ging dann Richtung Wohnzimmer. Wie vom Donner gerührt taumelte sie einige Schritte zurück, die Hand vor den Mund haltend, um einen Schrei zu ersticken. So wurden die Leichen gefunden.
Hauptkommissarin Uta Hansen stand am neuen Tatort, nachdem sie von der Notrufzentrale informiert worden war. Die Spurensicherung hatte ihre Arbeit getan und zog mit ihren Metallkoffern wieder ab. Am Ort des Geschehens gab es nichts Besonderes zu finden.
»Er hat keine Hemmungen mehr, tötet mit Brutalität. Es scheint ihm alles egal zu sein«, sprach Uta Hansen mehr zu sich als zu Roland Ernst, dem Leiter des Bremer Raubdezernats, der ebenfalls später hinzugestoßen war.
»Warum tut er das? Beute hat er keine gemacht. Überhaupt hat der Aufwand bisher nicht die Risiken gelohnt. Banküberfälle sind heutzutage für einen Täter allein kaum lohnenswert. Wenn auch das Vorgehen ungewöhnlich ist, über die Filialleiter zu gehen, so scheint mir, dass Geld bei dem Täter nur eine Nebensache ist. Dafür hat er keinerlei Skrupel zu töten. Er ist ein Tier!«
»Vielleicht hat er andere Gründe für sein Vorgehen?«, gab Ernst zu bedenken.
»Und welche sollen das sein?«, entgegnete Uta Hansen. »Oder war das eine rhetorische Frage? Die Suche nach dem Motiv ist unsere Hauptaufgabe. Jedenfalls will ich morgen Rainer West in meinem Büro haben. Seine Freundin soll ebenfalls kommen. Eines ist sicher. Ulf Kern hat nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Er sollte ablenken, vielleicht als Täter aufgebaut werden.
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