Stahlhart
Damm sei. Nach dieser Verzögerung rief Rainer bei der Bremer Bank am Arbeitsplatz von Britta an. Sie nahm nicht ab. Zwar könnte sie sich gerade in einem wichtigen Gespräch befinden oder sonst eine Tätigkeit ausführen, die außerhalb ihres Büros lag, aber bislang hatte Rainer sie immer erreicht. Die nächste Möglichkeit war, dass es Brittas Mutter schlechter ging und sie dort war, doch auch in Brittas Elternhaus erfuhr Rainer nur, dass die Tochter sich wider Erwarten nicht gemeldet hatte. Rainer dachte nach. Er kannte diese merkwürdige Situation von Berlin. Es würde doch nicht wieder so eine Geschichte sein? Aber Britta hatte nur einen Bruder und der war hier. Natürlich gab es noch etliche vernünftige Begründungen, warum Britta momentan nicht erreichbar war, selbst auf ihrem Handy nicht, bei dem die Mailbox ansprang, doch Rainer fing an, sich Sorgen zu machen. Das nächste Telefonat führte er mit der Krankenhausrezeption. Vielleicht hatte sie bei ihrer momentanen nervlichen Belastung selbst gesundheitliche Probleme? Aber Fehlanzeige. Die nächste Option: Das St.-Joseph-Stift in Schwachhausen. Nichts! Auch nicht in den anderen Bremer Kliniken wie Links der Weser oder der Diakonie in Gröpelingen und anderen. Rainer lag auf dem Bett und dachte nach. Er würde es gegen Mittag noch mal am Arbeitsplatz versuchen. Er rief bei der Bremer Bank über die Telefonzentrale an und verlangte von dort eine Verbindung zu Britta. Nach einigen Versuchen der freundlichen Mitarbeiterin erfuhr er, dass Britta heute nicht zur Arbeit erschienen sei. Eine Krankmeldung läge allerdings nicht vor, wurde ihm auf Nachfrage mitgeteilt. Keine Spur von Britta. In Rainer machte sich allmählich Panik breit. Die Situation war außergewöhnlich. Was war mit Britta? Sie blieb verschwunden.
Britta erwachte mit bitterem Geschmack im Mund. Sie benötigte einen Moment, um sich in der Realität zurechtzufinden. Als Erstes bemerkte sie, dass ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt war. Sie fühlte Fesseln, ihr Mund war mit Paketband verklebt. Immer deutlicher wurden die Details. Sie saß auf einem Stuhl, ihre Hände waren hinter ihrem Rücken zusammengebunden. Die Schultern schmerzten schon aufgrund der unnatürlichen Lage. Britta wagte einen Blick in die Runde. Sie befand sich in einem saalähnlichen Raum, der etliche Meter hoch war. An den Längsseiten des Raumes befanden sich jeweils in Oberlichthöhe eine Reihe von Fenstern, die allerdings eingeschränkt Tageslicht durchließen. Vogelkot, Staub und Dreck hatten die Gläser über Jahre blind gemacht. An der Decke des Raumes verliefen Laufschienen. An manchen Enden derer hingen Stahlhaken. In einer Ecke des Raumes standen zwei alte, verdreckte und verstaubte Maschinen.
Britta saß auf ihrem Stuhl in einer Art Werkshalle. Sie verstand die Situation nicht. Bilder kamen hoch. Sie erinnerte sich an den vermummten Mann, der sie zu Rainer bringen wollte. Dann hatte sie einen Stich im Arm gespürt. Einen feinen Stich, wie von einer Spritze. Danach verließen sie sämtliche Erinnerungen, bis sie hier erwacht war.
Nach einigen Stunden hörte Britta eine Tür hinter sich zuschlagen. Fast lautlose, von Gummisohlen gedämpfte Schritte näherten sich, bis eine vermummte Gestalt mit Sturmhaube vor ihr stand.
»Was wollen Sie von mir?«, hauchte Britta mit zitternder Stimme. Die Gestalt stand nun vor ihr und blickte sie an, minutenlang. Dann bewegte sich der rechte Arm langsam nach oben. Die Hand erfasste die Sturmhaube und zog sie mit einer Bewegung vom Kopf. Danach stand die Gestalt wieder ruhig da.
»Du? Was soll das? Was willst du von mir?«
»Ich will dich! Du weißt, ich liebe dich, ich habe dich immer geliebt, und kein anderer wird dich jemals bekommen.«
Nachdem Rainer lange auf dem Krankenbett gelegen und an die weiße Zimmerdecke gestarrt hatte, kam ihm ein Gedanke. Er war fast böse auf sich, dass ihm die Idee nicht früher gekommen war: Es könnte sein, dass sich Britta zum Verhör bei der Polizei befand. Rainer rief bei Hauptkommissarin Hansen an.
»Hansen?«
»Hier West. Ich gehe davon aus, dass Frau Kern bei Ihnen ist. Ich hätte sie gern gesprochen.«
»Da liegen Sie falsch, Frau Kern ist nicht hier. Wie kommen Sie darauf?«
»Ich war fest überzeugt, sie sei bei Ihnen. Ich kann sie nirgendwo erreichen. Habe es schon überall probiert. Sie waren meine letzte Chance. Britta ist unauffindbar.«
»Wollen Sie eine Vermisstenanzeige aufgeben? Allerdings wären Sie bei mir damit
Weitere Kostenlose Bücher