Stahlhexen
vorkragende Struktur erkennen: den runden Wassertank, der in die Dunkelheit hinausragte. Er schaltete die Taschenlampe aus und meinte, dort oben den Widerschein von Licht zu erkennen, das sich in den Regentropfen brach.
»Wie kommen wir da rein?«, schrie Mia.
Gleich darauf hatten sie den Eingang gefunden: eine tief in die runde Außenmauer eingelassene Stahltür mit Klingel und Gegensprechanlage, beides von einer winzigen elektrischen Leuchte erhellt. Mia drückte den Klingelknopf, und sie warteten ab. Sie drückte ein zweites Mal. Gerade, als sie
zum dritten Mal klingelte, drang eine Stimme aus der Gegensprechanlage.
»Ich gehe hier nicht weg. Ich lasse mich nicht evakuieren.«
Die Stimme eines sehr alten Mannes, erschreckt und abwehrend.
»Sind Sie Mr Tilney?«, rief Mia in die Gegensprechanlage.
»Verschwinden Sie.«
»Ist noch jemand bei Ihnen?«
»Hier ist keiner, nur ich. Wer sind Sie? Sie und Ihr Begleiter?«
Fletcher blickte sich um und entdeckte eine kleine Kamera in einer Ausbuchtung neben der Tür. Er ging ganz nah an die Gegensprechanlage heran, die Augen auf die Kamera geheftet.
»Mein Name ist Tom Flechter. Ich suche Kate Fletcher.«
Es folgte eine kurze Pause, dann: »Sie verschwenden Ihre Zeit. Es ist niemand da.« Die alte Stimme zitterte - aus Angst oder Altersschwäche.
»Ist Aspen Slade hier?«, fragte Fletcher. »Ein etwa fünfundzwanzigjähriger Amerikaner?«
»Hab den Namen nie gehört. Was wollen Sie eigentlich?«
»Ich bin wegen der Stahlhexen hier.«
Eine Zeit lang kam nichts als Knistern aus der Gegensprechanlage - zehn Sekunden lang, zwanzig - im Sturm war es kaum zu hören. Dann summte der Türöffner, das Türschloss klickte und ging - als Fletcher dagegen drückte - auf.
Sie traten in eine Kammer mit Betonwänden.
Tom und Mia sahen sich an, machten die Tür hinter sich zu und schauten sich um. Es gab hier nur zwei Dinge: eine Stahlleiter, die durch eine Luke in der Decke führte, und einen Aufzugsschacht - dort öffnete sich eine alte Falttür vor einem Gitterlift.
»Er ist es. Wirklich und wahrhaftig«, sagte Mia.
Fletcher wischte sich den Regen aus den Augen. »Es muss aber schnell gehen.«
Sie traten in den Lift und zogen die Tür zu. Der Schalter ließ einem nur zwei Optionen: Abwärts oder Aufwärts.
Fletcher drückte Aufwärts, und der Kasten setzte sich knarrend in Bewegung. Im Vorbeifahren zeigten sich reliefartige Stahlbeton-Gitter in der Wand. Mia öffnete das Regencape, löste ihr Haar und schüttelte es aus. Mit einem Lächeln blickte sie Fletcher an. Der Lift hielt und Mia drückte die Tür auf.
Sie standen in einem langen Korridor, der von funzeligen Feuchtraumleuchten erhellt wurde. Es war kühl und überraschend still, da die Betonwände den Sturm abhielten. Aber weiter oben hörten sie gedämpften Motorenlärm - vielleicht ein Generator. Mehrere Stahltüren gingen vom Korridor ab, und Fletcher stieß die erste auf. Es war ein einfaches Badezimmer, fast wie auf einem Schiff. Als Nächstes kam eine mit alten Möbeln vollgestellte Rumpelkammer und dann eine kleine Küche mit Kochplatte, Spüle und einer Arbeitsplatte, auf der sich Konservendosen und sonstige Nahrungsmittel stapelten. Am Ende des Korridors befand sich eine leicht geöffnete Stahltür, aus der ein spitz zulaufender Lichtstreifen auf den Boden fiel. Fletcher stieß die Tür auf, und sie traten in den ursprünglichen Wassertank.
Wasser gab es dort nicht mehr. Der saalartige, kreisrunde Raum war mindestens acht Meter hoch und wurde von herabhängenden Deckenleuchten erhellt. Die rundum laufende, gerippte Wand wurde von zwei breiten Fenstern durchbrochen, durch deren dicke Glasscheiben jetzt nur der herabprasselnde Regen zu sehen war.
Fletcher blieb ruckartig stehen.
»Mein Gott«, entfuhr es Mia.
Zwischen den Fenstern hingen mehrere mit dick aufgetragener Farbe bemalte, große Leinwände. Lange, wand-füllende Gemälde vom Leben auf dem Land, Fischer beim Flicken ihrer Netze und Frauen, die altmodische Traktoren lenkten. Der Malstil war klar und flächig, mit kräftigen Farben und stilisierender Darstellung - der Menschen, ihrer Werkzeuge und Geräte, der Landschaft im Hintergrund.
Fletcher stand da und betrachtete die Gemälde. Er hatte diesen Malstil schon gesehen - und er erinnerte sich auch genau wo, er sah die Bilder förmlich vor sich. Nämlich die NoseArt der alten »Mustangs« vom Luftwaffenstützpunkt im Hexland, die Stahlhexen. Jene Bilder, deren reales Vorbild Sally und
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