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Stahlhexen

Stahlhexen

Titel: Stahlhexen Kostenlos Bücher Online Lesen
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Cherelle?«
    Die Frau war ein Wrack. Und keineswegs die sauber polierte Version eines Wracks, sondern eher eines, von dem schon überall der Rost abblätterte. Er schätzte sie auf Mitte sechzig, doch das war schwer zu sagen. Sie hielt sich kerzengerade und trug einen ordentlichen Morgenrock aus dunkler Wolle, der mit einem Gürtel um die Taille zugebunden war. Doch ihr Haar war gelblich grau, struppig und mit Haarklemmen an den Kopf geklammert. Richtig beunruhigend aber war ihr Gesicht - es sah aus, als hätten zu viel Sonne und zu viel Nikotin ihre zerstörerischen Kräfte vereinigt - und tatsächlich roch sie nach abgestandenem Rauch. Im Sonnenlicht sah man die tiefen Falten in ihrem Gesicht- und das nicht nur um die Augen herum. Tiefe Furchen zogen sich die Wangen bis zum Kinn hinunter, und die mit Altersflecken übersäte Haut hatte einen fahlweißen Teint. Sie hobdie Hand, unter deren Haut sich die Knöchel und das lange Fingerskelett abzeichneten, strich sich damit über das kaputte Haar und lächelte.
    Einen Moment lang hatte er eine sonderbare Anwandlung. Es schien ihm, als hätte er ihr Gesicht schon einmal gesehen. Vielleicht hatte er die Slades ja doch irgendwann einmal getroffen und wusste es nur nicht? Dann begriff er plötzlich, woran es lag — natürlich, sie war ja auf dem alten Foto vom Luftwaffenstützpunkt zu sehen, das er bei sich trug: Da war sie diese wesentlich jüngere Frau mit der Schirmmütze gewesen, die lächelnd die Hand auf die Schulter des boshaft grinsenden Jungen legte. So hatte sie vor zwanzig Jahren ausgesehen.
    »Tom?«, sagte sie. »Oh, Tom, du bist es.«
    Ihre Stimme war leise und bebte. Und als sie die Hand ausstreckte und sein Gesicht berührte, roch er den Nikotingestank ihrer gelblichen Finger. Tränen rannen ihr über die Wangen und versickerten in den Falten. Ein Tiefflieger schoss über die Dächer und ließ das Haus erzittern. Der Geruch verdampften Kerosins lag in der Luft.
    In meinem ganzen Leben besuche ich nie wieder einen amerikanischen Luftwaffenstützpunkt, dachte Fletcher.
    Granny hat uns erzählt, wie das damals in unserem Dorf zu Ende gegangen ist. Die Leichen wurden zusammengebunden, und ein Karrengaul zog sie über die Felder. Es war schrecklich, denn aus den Leichen lief alles Mögliche heraus und verteilte sich in langen Streifen über die Felder, und Haar blieb an den Stoppeln hängen. Bei der Tongrube wurden die Stricke aufgeschnitten und die Leichen ins Wasser gewälzt. Als Erste war die alte Gussy dran. Granny hat gesagt, auf dem Wasser seien Möwen geschwommen, die alle schreiend aufflogen. Dann packten die Männer Bessies Leiche. Sie zogen sie nackt aus und stellten sich über sie. Sie sah aus wie eine Handvoll Stroh,hat Granny gesagt. Zerquetscht, mit festen kleinen Stücken Fleisch, die überall rausschauten.
    Die Männer sahen einander an. Dann packten sie Bes- sies Leiche bei Hand- und Fußgelenken und warfen sie weit ins Wasser hinaus. Als sie hineinfiel, spritzte Wasser auf und traf einen der Männer im Gesicht.
    »Sie hat dich berührt.«
    »Hat sie nicht.«
    Sie blieben stehen und schauten noch aufs Wasser hinaus.
    Hinter ihnen ritt unterdessen schon der Hexenjäger gemächlich über die Felder davon.
    Cherelle Swanson machte ihm einen Kaffee. »Etwas anderes ließ sich in der Küche nicht auftreiben, Tom.« Sie stellte die Kanne auf den Tisch im kleinen vorderen Zimmer: ein zerkratzter Glasbehälter, der aussah wie das Recyclingprodukt alter Pilotenkabinen und mit einer dampfenden, Bläschen werfenden schwarzen Flüssigkeit gefüllt war.
    »Rauchst du?«, fragte sie.
    »Nein.«
    »Im Flugzeug dachte ich, das bringt mich um. Trotz Nikotinpflaster auf beiden Armen und allem.«
    Trotz des zum Lüften halb geöffneten Fensters war das Zimmer vollkommen verqualmt. Sie angelte mit gekrümmten Fingern eine Zigarette aus einem Päckchen auf dem Tisch und zündete sie mit einem Zippo an, das nach Flugbenzin roch und mit einem Klicken zuschnappte.
    »Das mit Nathan tut mir leid.« Er holte das Foto des Al- conhurst-Familientags hervor und legte es auf den Tisch. Sie sah es an, während sie den Kaffee einschenkte.
    »Furchtbar traurig ist das, Ordnung in jemandes Angelegenheiten zu schaffen. So sagt man doch, oder? Ordnung schaffen. Alles, was dem Toten gehört hat, wegschaffen. Die
    Bellman-Leute werden mir seine Sachen bringen.« Aber sie nahm das Foto nicht zur Hand.
    »Wer bist du eigentlich, Cherelle?«, fragte Fletcher.
    Sie fuhr sich über die

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