Stahlhexen
über die Gasflamme, wärmte erst die Handflächen, dann die Handrücken und dachte nach.
»Also, Daisy war hier«, sagte sie dann. »Wir haben auf diesen Stühlen vor diesem Gasofen gesessen. Sie war eine faszinierende Frau, fast charismatisch. Sie interessierte sich für mein Buch, für die Fotos der Flugzeuge mit den Stahlhexen, und wollte wissen, woher ich die Fotos hatte.«
»Können Sie mir das auch sagen?«
Charlie strich sich wieder eine Haarsträhne hinters Ohr. »Die habe ich vor ein paar Jahren einem Sammler abgekauft. Er sagte, er habe sie in den achtziger Jahren in einem Trödelladen erstanden. Sonst weiß ich nicht das Geringste über sie.«
»Und warum interessierte Daisy sich dafür?«
»Sie wollte wissen, wie der Künstler hieß, der die Kampfjäger bemalt hat. Aber das wusste ich natürlich auch nicht.«»Kann man denn etwas über diese Flugzeuge herausbekommen?«
»Ich wüsste nicht wie. Gut, jedes amerikanische Flugzeug hatte auf der Seitenflosse eine Nummer, eine jeweils nur einmal vergebene Seriennummer. Aber auf keinem der Fotos ist so eine Nummer zu sehen. Und das ist schon alles. Mehr weiß ich nicht.«
»Okay, danke.« Fletcher sah sie an und betrachtete die Falte, die sich im rötlichen Schein der Gasflamme zwischen ihren Augen zeigte. »Vorhin sagten Sie, Sie würden sich in diese Sache nicht reinziehen lassen. Was meinten Sie damit?«
»Ach, das sind sicher ganz überflüssige Sorgen.«
»Worum geht's denn?«
»In der Fliegerei wird viel geredet, da entsteht schnell ein Gerücht.«
»Es gibt ein Gerücht? Worüber denn?«
Sie zuckte die Achseln. »Es ist einfach nur so eine seltsame Geschichte, über einen Luftwaffenstützpunkt.«
Der Regen prasselte auf das Blechdach wie Trommelwirbel.
»Über einen Luftwaffenstützpunkt?«
»Es heißt, es hätte da einen Luftwaffenstützpunkt gegeben, der verschwunden ist.«
»Wie denn verschwunden?«
»Es ist eben ein Gerücht. Manche sagen, das Meer habe einen Küstenstreifen abgetragen, und damit sei auch das Flugfeld fortgeschwemmt worden. Andere behaupten, die Stelle sei mit schwerem Gerät geräumt und geheim gehalten worden, weil dort etwas vorgefallen sei, was nicht an die Öffentlichkeit gelangen dürfe. Aber das sind einfach nur Stammtischgeschichten. Moderne Mythen, wie man so sagt, nur eben aus der Fliegerei.«
»Und warum bereiten die Ihnen dann Sorgen?«
»Daisy hatte diese Geschichte auch gehört und mich danach ausgefragt. >Warum spielt das eine Rolle ?<, habe ichzurückgefragt. >Das ist doch nur ein Gerücht.< Und sie hat geantwortet: >Nein, diese Geschichte stimmt. Dort haben die Stahlhexen gelebt.<«
»Dort haben sie gelebt? Was soll denn das heißen?«
»Ich weiß es nicht, aber Daisy war vollkommen überzeugt davon. Da bin ich mir sicher.«
»Sollte irgendetwas vertuscht werden? Was könnte das sein?«
»Ach, hören Sie auf, das ist doch bloß ein Gerücht. Und Daisy hat nicht nur darüber geredet, sondern auch über das Felwell College, über das Labor des College.«
»Das Labor? Was hat denn das mit der Sache zu tun?«
Sie sah ihn an. Inzwischen strich sie nicht mehr ständig eine Haarsträhne hinters Ohr.
»Das ist doch einfach nur ein Gerücht. Es wurde gar nichts vertuscht, weil nämlich gar nichts passiert ist.«
»Aber?«
Charlie beugte sich vor, bis ihr Gesicht seinem ganz nah war. So aus der Nähe, mit den im düsteren Licht des Regentages schimmernden Augen, sah sie sehr hübsch aus. »Sie haben doch ein Restaurant«, sagte sie. »Wenn Sie jemanden rösten wollen, dann bitte dort. Kapiert?«
Fletcher nickte. »Haben Sie eine Idee, was Daisy im Anschluss an den Besuch bei Ihnen gemacht haben könnte?«
»Ich habe ihr gesagt, sie soll es im neuen Luftfahrtmuseum probieren. Da gibt es Historiker und Archive, vielleicht finden die ja was über die Stahlhexen. Aber ich habe sie auch gewarnt, dass es sich wahrscheinlich kaum lohnen dürfte.«
»Hat sie es trotzdem dort versucht?«
»Das weiß ich nicht.« Charlie blickte sich nach den Tropfentanks um, die von der Decke herabhingen. »>Wenn die Hexen weinen könnten<, hat Daisy gesagt, >würden sie solche Tränen vergießen.< Was sie damit wohl gemeint hat?«
Mittwochnachmittag
Das Fenster von Fletchers Büro stand halb offen, und er hörte, wie Wasser vom Dach tropfte und das Schmelzwasser in den Dachrinnen plätscherte.
Er suchte Informationen über Aspen Slade, fand seinen Namen aber nur in fünf Jahre alten Zeitungsartikeln aus den USA. Ein
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