Stahlstiche
mich emphatisch gegen die Kategorisierung von außen – ich stelle solche Fragen nicht, aber sie wurden und werden mir stets gestellt: Sind Sie eine Schriftstellerin oder eine schwarze Schriftstellerin? Heute sage ich sehr betont: Ja, ich bin eine Frau, und ich bin eine schwarze Frau, und ich bin eine afroamerikanische Schriftstellerin. Basta. Schwarze haben keine Nationalität in diesem Land. Wir sind Staatsbürger und Schwarze. Ich bin keine amerikanische Schriftstellerin.
FJR : Eine bittere, wenn nicht dramatische Definition. Kaum hinnehmbar. Von Melville über Faulkner bis Arthur Miller: alles «amerikanische Schriftsteller»? Von Richard Wright über James Baldwin bis Toni Morrison: alles keine «amerikanischen Schriftsteller»?
MORRISON : Ich akzeptiere es, so genannt zu werden; zumal ich ja inzwischen eine Art
honorary American
bin, Sie können es auch Aushängeschild nennen. Aber die Folge der historischen Unterdrückung ist, daß die Existenz von unsereins verschattet bleibt. Das ist die eine Stufe des «Ich bin keine Amerikanerin»: Wir konnten nicht das Selbstbewußtsein einer Staatsbürgerschaft entwickeln, das den anderen fröhliche Selbstverständlichkeit ist. Das ist eine historische Tatsache. Die andere Stufe, und von der kann ich ganz persönlich Zeugnis geben, ist fast komplizierter: Als literarische Debütantin wurde ich nie, nie je als reguläre Autorin oder als amerikanische Schriftstellerin angesehen – ich war etwas Marginales, eine Schwarze. Da schneidet die Rassengrenze.
FJR : Da Sie hier in Princeton ja auch Literatur unterrichten: Sehen Sie die Werke weißer Amerikaner als spezifisch unterschiedlich?
MORRISON : Zwei Antworten. Zum einen: Weder Schwarzsein noch der Begriff «Farbige» weckt in mir Vorstellungen von grenzenloser Liebe, von Anarchie oder Routine-Furcht. Ich als schwarze Schriftstellerin habe das interessante wie komplizierte Problem, mit und in einer Sprache zu arbeiten, die versteckte Zeichen von rassischer Überlegenheit, Abfälligkeit und kultureller Hegemonie in sich eingeschliffen trägt. Da sind wir schon bei der zweiten Antwort: Die haben ein Land, sind Teil einer Nation – wir nicht.
FJR : Ist die Rassenfrage nach wie vor eine Klassenfrage? Ich las soeben ein Interview mit Henry Louis Gates, dem Verkünder der «Neuen schwarzen Renaissance», der ja nicht nur wegen seiner Professur in Harvard ein Kollege von Ihnen ist; er ist – Sohn eines Papiermühlenarbeiters – heute eine Art schwarzer Superstar, Autor von über fünfzig Büchern, Mitarbeiter führender Blätter. Er erinnert sich an das schwarze Ghetto, an den schwarzen Minderwertigkeitskomplex – Mozart ein Genie, Duke Ellington nicht – und daran, daß man auch als gutverdienender schwarzer Anwalt oder Arzt nicht wohnen konnte, wo man wollte, daß man sich eventuell Dienstmädchen, Butler und Chauffeur leisten konnte – aber bitte schwarze. Das sei vorbei. Man könne jetzt mühelos «gemischt» wohnen und einen weißen Chauffeur haben, wenn man’s denn will. Stimmt das?
MORRISON : Das stimmt genau. Aber das Problem ist ja nicht, wo ein reicher schwarzer Anwalt oder ein berühmter Künstler mit oder ohne Chauffeur wohnen kann; das Problem ist die Armut, die vollkommene soziale Verelendung in dieser Gesellschaft, die Kriminalität als Folge. Über dreißig Millionen unterhalb der Armutsgrenze – das sind etwa elf Prozent der Bevölkerung. Und da ich von Zahlen spreche, möchte ich Sie sehr vernehmlich bitten, sich klarzumachen: Die Schwarzen stellen einen Anteil von 12 Prozent der Bevölkerung der USA dar, sie stellen aber 55 Prozent der Gefängnisinsassen, sie stellten 1997 36 , 6 Prozent der Hingerichteten – das muß doch wohl Gründe haben? Dieses Land wird zerrissen von barbarischer sozialer Ungerechtigkeit. Sie privatisieren das Land zu Tode – Schulen, Krankenhäuser, demnächst die Gefängnisse. Kommerz, Kommerz.
FJR : Also das «amerikanische Wunder» – aber nur für die Reichen?
MORRISON : Und für Gangster.
FJR : Und reich oder arm heißt nach wie vor weiß oder schwarz?
MORRISON : Aber selbstverständlich. Die Situation ist sehr, sehr gefährlich. Im ganzen kann ich Ihnen nur beschwörend sagen: Das Land ist in einer hochexplosiv-gefährlichen Situation. Nach dem, was man Zusammenbruch des Kommunismus nennt, ist der Kapitalismus wild geworden, rasend. Was stirbt, ist die Demokratie. Kapitalismus und Demokratie gehen nicht automatisch Hand in Hand. Freier Handel
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