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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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kann das nicht vertragen, er greift zu Tschechows Briefen und zieht sich demonstrativ in seine Ecke zurück. Er schläft auf einer Tür, die zwischen zwei Pritschen liegt.
    Ich finde allmählich Gefallen an ihm, trotz seines zank süchtigen Charakters und seiner ständigen Unzufriedenheit. Er arbeitet ununterbrochen, ohne sich zu schonen. Die Leitung kontrolliert und bessert er stets selbst aus, und sie reißt bei uns drei- bis viermal am Tag. Er brummt, schimpft, regt sich auf, beschuldigt alle des Nichtstuns, aber sein Kraftwerk, jede Maschine, jede Schraube vergöttert er wie ein lebendes Wesen. Überhaupt wohnen in ihm äußerster Pessimismus, Krittelei und unglaubliche Energie und Aktivität friedlich nebeneinander.
    »Wie können wir mit den Deutschen kämpfen!« sagt er, zupft nervös am Schlips und legt die Stirn in Falten. »Sie sind von Berlin bis Stalingrad in Autos gefahren, und wir liegen in unseren Jacken und Arbeitsanzügen in den Gräben mit
    einundneunziger Gewehren.«
    Igor braust auf, ständig gerät er mit Georgij Akimowitsch in Streit.
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Daß wir nicht zu kämpfen verstehen.«
    »Was heißt ›verstehen‹, Georgij Akimowitsch?« »Verstehen? Von Berlin bis zur Wolga marschieren – das heißt verstehen.«
    »Sich von der Grenze bis zur Wolga absetzen, das will auch verstanden sein.«
    Georgij Akimowitsch läßt ein kurzes, trockenes Lachen hören.
    Igor ärgert sich.
    »Was lachen Sie? Da gibt’s nichts zu lachen. Frankreich ist in zwei Wochen zusammengebrochen. Beim ersten Druck ist es zusammengebrochen, zusammengerutscht wie ein Sand haufen. Wir aber kämpfen schon das zweite Jahr allein.« »Wozu der Vergleich mit Frankreich? Vierzig Millionen –
    und zweihundert Millionen. Sechshundert Kilometer und zehntausend Kilometer. Und wer war dort am Ruder? Pétains, Lavals, die jetzt ganz vergnügt mit den Deutschen zusammenarbeiten.«
    »Das ist es ja, das ist es ja …«, erregt sich Igor, »Pétains und Lavals … Eben Pétains und Lavals. Und solche haben wir nicht. Die sind ausgemerzt. Das ist die Hauptsache. Verstehen Sie, das ist die Hauptsache, daß die Menschen bei uns von einem anderen Schlage sind. Und deshalb kämpfen wir auch. Kämpfen bis zum heutigen Tage. Sogar hier, an der Wolga, nachdem wir die Ukraine und Belorußland verloren haben, kämpfen wir, und welches Land, sagen Sie mir, welches Land, welches Volk hätte das ausgehalten?«
    Georgij Akimowitsch lächelt mit einem Mundwinkel.
    »Keins.«
    »Aha, keins! Sie geben selbst zu, keins.«
    »Ich gebe es zu. Aber wird einem denn davon leichter? Wird denn etwas leichter durch das Bewußtsein, daß andere Länder weniger widerstandsfähig sind als wir? Das hieße sich selbst etwas vormachen. Und das haben wir nicht nötig. Man muß die Dinge nüchtern betrachten. Mit Heldentum ist da nichts getan. Heldentum bleibt Heldentum, und Panzer bleiben Panzer.«
    »Unsere Panzer sind nicht schlechter als die deutschen, sie sind sogar besser. Ein Panzerschütze sagte mir …«
    »Ich widerspreche nicht, ich widerspreche nicht. Möglich, daß sie besser sind, ich kenne mich da nicht aus. Aber mit einem guten Panzer kann man nicht zehn mittelmäßige vernichten. Was meinen Sie?«
    »Warten Sie ab. Wir werden auch viele Panzer haben.«
    »Wann? Wenn wir allesamt am Ural sind?«
    Igor springt auf, wie von der Tarantel gestochen.
    »Wer wird am Ural sein? Ich, Sie, er? Ja? Verflucht noch mal. Sie wissen es selbst ganz genau. Sie sagen das alles bloß aus Eigensinn, aus dem dummen Wunsch, zu streiten, zu streiten um jeden Preis. Eine widerwärtige Angewohnheit.«
    Georgij Akimowitsch zuckt mit der Nase, mit den Brauen, den Wangen.
    »Was ärgern Sie sich? Setzen Sie sich. Nun, setzen Sie sich doch einen Augenblick hin! Man kann doch auch über alles in Ruhe sprechen.« Igor setzt sich. Sehen Sie, Sie sagen, daß man sich auch aufs Zurückweichen verstehen müsse. Stimmt. Vor Napoleon sind wir bis Moskau zurückgewichen. Aber damals haben wir nur Raum verloren und bloß einen schmalen Streifen. Und Napoleon hat außer Schnee und niedergebrannten Dörfern nichts gewonnen. Und jetzt? Ohne Ukraine und Kuban gibt’s kein Brot, ohne Donezbecken – keine Kohle. Baku ist abgeschnitten, das Dnjeprkraftwerk zerstört, Tausende von Werken in den Händen der Deutschen. Was für Aussichten? Die Wirtschaft ist heute alles. Die Armee muß gekleidet, mit Schuhen, Lebensmitteln und Munition versorgt werden. Ich spreche gar nicht

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