Stalingrad
betrachtet das Bild. Unter der roten schrägen Aufschrift laufen rote Soldaten in Helmen, ihnen folgen rote Panzer, und über den Köpfen sind rote Flugzeuge.
»So geht ihr wohl zum Angriff vor, was?«
»Wir wehren mehr ab, als daß wir selbst angreifen, Genosse Major.«
Der Major lächelt, dann wird sein Gesicht plötzlich ernst, und seine weichen, ein wenig welken Lippen werden hart und scharf.
»Wieviel kampffähige Soldaten hast du?«
»Sechsunddreißig.«
»In der Vordersten?«
»Ja, in der Vordersten. Dazu Telefonisten, Melder, den Wirtschaftszug am Ufer und auf dem anderen Ufer sechs Mann mit Pferden. Alles in allem werden es fünfzig Mann sein. Außerdem Granatwerferschützen, insgesamt also an siebzig Mann.«
»Sechsunddreißig und siebzig, ein schönes Verhältnis! Nicht gut.«
»Nicht gut, ich gebe es zu. Ich wollte schon die sechs zu mir nehmen und die Pferde zum Sanitätsbataillon schicken, aber Ihr Stellvertreter hat es nicht erlaubt; er sagte, man brauche sie zum Heuholen!«
Der Major nagt an seiner Pfeife. Die Pfeife ist nicht groß, verbogen und ganz zerkaut.
»Bist Ingenieur von Beruf, ja?«
»Architekt.«
»Architekt … Also Paläste aller Art. Museen, Theater. Ist’s so?«
»So ist’s.«
»Wirst mir auch einen Palast bauen. Unser Pionier, Lissagor … kennst du ihn noch nicht? Ich werde euch bekannt machen … Er hatte bereits einen Palast gebaut, aber Tschuikow, der Befehlshaber, hat ihn belegt. So hause ich denn in diesem Loch, und nach jeder Bombe muß man die Erde hinter dem Kragen hervorklauben.« Der Major lächelt wieder, und Krähenfüßchen bilden sich rings um seine Augen. »Nun, Minen und – wie heißt es doch? – Drahtwalzen, die kennst du natürlich?«
»Die kenn ich.«
»Damit wirst du dich jetzt beschäftigen. Wenn die Bataillonskommandeure kommen, werden wir darüber sprechen. Vorläufig rauche.« Er schnipst mir die Packung herüber. »Wir haben schon einen Bataillonskommandeur für deine Stelle angefordert, aber man schickt keinen, und ohne Ingenieur ist man wie ohne Hände. Lissagor ist kein schlechter Bursche, aber Zeichnungen und Skizzen, das sind für ihn böhmische Dörfer … So was gibt es.«
Irgendwo explodieren Bomben. Man hört kein Dröhnen; nur in den Ohren ist ein unangenehmer Druck, und die Flamme der Lampe zittert unruhig.
Später kommen die Bataillonskommandeure und andere Offiziere.
Die Besprechung dauert nicht lange – zwanzig Minuten, nicht mehr. Borodin spricht. Wir hören zu und schauen auf die Karte.
Es stellt sich heraus, daß der Abschnitt unserer Division der breiteste ist – anderthalb Kilometer Tiefe. Links von uns steht auf einem schmalen Uferstreifen die dreizehnte Gardedivision, die Rodimzew-Division. Der Streifen zieht sich beinahe bis zur Stadt hin, bis zur Anlegestelle, als ein schmales, gewundenes Band, nicht breiter als zweihundert Meter. Rechts, im »Roten Oktober«, liegen die neununddreißigste Gardedivision und die fünfundvierzigste Division. Also die sind es, die jetzt alles abkriegen. Die rote Frontlinie verläuft auf der Karte gerade über den weißen Fleck, durch den der Betrieb gekennzeichnet ist. Weiter rechts sind weitere zwei bis drei Divisionen – und dann ist Schluß. Das ist alles. Alles, was auf diesem Ufer geblieben ist – ein Streifen von fünf bis sechs Kilometer Länge und anderthalb Kilometer Breite. Und anderthalb Kilometer, das ist noch die breiteste Stelle. Im Zentrum der Stadt sind die Deutschen. Das Traktorenwerk ist auf der Karte nicht verzeichnet, aber irgendwo, so heißt es, hat sich noch eine Division festgeklammert, ich glaube, die Gorochow-Division.
Heute nacht soll die zweiundneunzigste Brigade her überkommen. Sie hat sich schon in Stalingrad geschlagen. Nach zehntägiger Neuaufstellung kehrt sie jetzt zurück. Ihr Platz ist zwischen uns und der Rodimzew-Division. Wir müssen etwas nach rechts rücken und uns ein wenig zusammenzwängen. Das ist nicht schlecht.
Aber ich werde von »Metis« Abschied nehmen müssen. Dort wird das dritte Bataillon liegen. Ich bekomme den Abschnitt zwischen dem »Metis« und dem östlichen Ende der Schlucht am Mamai-Hügel, die sich wie ein S windet. Der dreckigste Abschnitt. Vollkommen eben und fast ohne Laufgräben. Die Zugänge liegen alle unter Beschuß. Am Tage kann von einer Verbindung mit dem Ufer keine Rede sein. In meinem früheren Abschnitt lagen die Zugänge auch unter Beschuß, aber dort gab es viele Laufgräben, Öltanks und Gebäude. Das
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