Stalingrad
Division aus der Umzinglung herausgeführt habe, er selbst, mit dem Gewehr in der Hand, in den vordersten Reihen.
Tapfer, dieser Teufel!
Und wie er sich in der vordersten Linie benimmt! Weder Kugeln noch Minen, nichts existiert für ihn. Was ist das? Ist das etwas zur Schau Gestelltes, damit die Jugend daran lernen soll? Man sagt, daß auch Napoleon nichts gefürchtet habe. Die Brücke von Arcole, Pestlazarette … Als er gestorben war, fand man an seinem Körper Narben, von denen niemand etwas gewußt hatte. Ich glaube, ich habe das bei Tarlé gelesen.
Was ist überhaupt Tapferkeit? Ich glaube denen nicht, die da sagen, sie fürchteten keine Bombenangriffe. Sie fürchten sie auch, verstehen es aber, ihre Furcht zu verbergen. Und die anderen können das nicht. Ich entsinne mich, daß Maximow einmal sagte: »Menschen, die sich vor nichts fürchten, gibt es nicht. Alle fürchten sich, bloß die einen verlieren den Kopf vor Angst; bei den anderen ist es gerade umgekehrt: In solchen Augenblicken werden alle Kräfte in ihnen mobilisiert, das Gehirn arbeitet besonders scharf und präzise. Das sind eben die tapferen Menschen.«
So einer war Maximow selbst. War … jetzt weilt er wahrscheinlich nicht mehr unter den Lebenden. Mit ihm zusammen war es in den schrecklichsten Minuten nicht schrecklich. Er erblaßte nur, preßte die Lippen zusammen und sprach ein wenig langsamer, als ob er jedes Wort wöge.
Sogar während der Bombenangriffe – und bei Charkow, während unserer mißglückten Mai-Offensive, hatten wir zum ersten Male erfahren, was solch ein Wort bedeutet – verstand er es, in seinem Stab immer eine gleichmäßige, sogar ein wenig humorvolle Stimmung aufrechtzuerhalten. Er scherzte, lachte, machte aus dem Stegreif Gedichte, erzählte lustige Geschichten. Er war ein guter Bursche, und nun ist er nicht mehr. Viele sind nicht mehr …
Wo ist Igor? Schirjajew? Sedych? Vielleicht auch schon nicht mehr unter den Lebenden … Es ist alles so sinnlos …
Lebten, lernten, träumten, und dann … geht alles zugrunde – Haus, Familie, Universität, Festigkeitslehre, Architekturgeschichte, Parthenon …
Parthenon … Weiß ich noch wie heute – 454 bis 438 vor Christus. Eine geschlossene Kolonnade, Peripteros, acht Säulen vorn, siebzehn an den Seiten. Und beim Theseion sechs und dreizehn … Dorischer, ionischer, korinthischer Stil. Ich mag den dorischen lieber, er ist strenger und lakonischer.
Wer hat den St.-Peters-Dom in Rom gebaut? Zuerst Bramante, dann St. Gallo, glaube ich, oder Raffael … Dann noch jemand und noch jemand. Dann Michelangelo. Er hat die Kuppel gebaut … Und den Säulengang? Wenn ich nicht irre, Berini.
Wie albern … Was für Dummheiten kommen einem jetzt in den Kopf! Wer braucht das jetzt? Ich soll die Anhöhe nehmen und denke an Kuppeln. Kommt eine tonnenschwere Bombe angeflogen, dann ist die Kuppel weg …
Was soll ich mit Farber machen, wenn ich doch die Anhöhe nehme? Es entsteht dann eine Lücke. Die vierte Kompanie vorn und die fünfte staffelartig dahinter. Wahrscheinlich wird befohlen werden, die Brücke zu nehmen. Vielleicht dem dritten Bataillon? Sie werden die Brücke abschneiden und sich mit uns auf der Anhöhe vereinigen. Das wäre gut!
Komisch … Unlängst saß ich auf jenem Hügel mit Ljussja. Wir schauten auf die Wolga hinunter, auf den Güterzug unten, und sprachen von Maschinengewehren. Vielleicht schießt jetzt genau von jener Stelle aus das Maschinengewehr auf uns …
Ljussja fragte damals, ob ich Block liebe. Komisches Mädchen! Sie hätte fragen müssen, ob ich Block geliebt habe – in der Vergangenheit. Ja, ich habe ihn geliebt. Aber jetzt …
Jemand zupft mich am Mantel.
»Genosse Leutnant! Genosse Leutnant! Von der politischen Abteilung sind welche gekommen und fragen nach Ihnen.«
Ich blicke unter dem Mantel hervor. Zwei Männer in Jacken, mit umgehängten Felltaschen, vollgestopft mit Papieren. Kontrolle wahrscheinlich, oder Vertreter des Stabes für den nächtlichen Angriff.
Ich muß aufstehen.
Es ist zwei Uhr. Vor mir liegen noch neun Stunden …
9
Der Spähtrupp kommt an, als es noch hell ist. Matrosenhemden, Matrosenkittel, Matrosenmützen, alles, wie es sich gehört. Über der Schulter deutsche Maschinenpistolen mit herausragendem Magazin.
Tschumak grüßt: »Zu Ihrer Verfügung zur Stelle.« Seine Augen glänzen unter dem Haarschopf. Er riecht nach Wodka. Seit damals, seit dem Tage unseres Streites, sind wir nicht mehr zusammengetroffen – er
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