Stalingrad
sitzen, sich aber brüsten: ›Seht, was für Frontsoldaten wir sind!‹ Bei uns im Lazarett war auch so einer …«
Er unterbricht sich plötzlich, und seine Augen heften sich auf die Tür.
»Woher kommst du denn?«
Karnauchow blickt auch auf die Tür.
Der Teufel hol’s! Walega … Walega, wie er leibt und lebt, mit großem Kopf, runder Stirn, in seinen unermeßlichen Stiefeln mit nach oben gebogenen Spitzen. So steht er in der Tür. Der Mantel – ich glaube, es ist der meine – reicht ihm bis an die Fersen. Steht da und ist verlegen.
»Woher kommst du denn, Walega?«
»Von da. Von uns.«
Er grüßt ungeschickt. Das kommt immer schlecht bei ihm heraus. Er nimmt einen Sack von der Schulter.
»Habe Büchsenfleisch gebracht … den Mantel …«
»Du bist verrück!«
»Wieso verrückt? Durchaus nicht verrückt. Hier ist auch ein Zettel an Sie.«
»Von wem?«
»Charlamow hat ihn mir gegeben, der Stabschef.«
»Hat er dich geschickt?«
»Durchaus nicht. Bin von selber gekommen …« Walega nimmt aus dem Sack Konservenbüchsen und zwei Brotlaibe. »Als ich den Sack packte, haben sie gerade mit dem aus dem Regimentsstab etwas beraten; sprachen davon, daß man sich mit Ihnen irgendwie in Verbindung setzen müßte. Da habe ich denn gesagt, daß ich mich gerade auf den Weg zu Ihnen machen wollte. Da haben sie angefangen, etwas zu suchen, und mir dann diesen Zettel gegeben.«
Er holt aus der Seitentasche, die wie bei jedem Soldaten vollgepfropft ist mit Papieren und Briefen, ein vierfach zusammengefaltetes Blatt von einem Notizblock und reicht es mir. In Charlamows sorgfältiger Handschrift steht da geschrieben:
»5. 10. 42, 12.15, Gefechtsstand ›Orkan‹
Genosse Leutnant. Aufgrund des uns erteilten Befehls vom 31. teile ich mit, daß heute von uns aus ein Angriff unternommen wird mit dem Ziel, sich mit Ihnen an der rechten Flanke zu vereinigen und die Gruppe des Gegners, die in die Schlucht eingedrungen ist, abzuschneiden und zu vernichten. Ich teile mit, daß ich Nachschub bekommen habe in Stärke von 7 (sieben) Mann, außerdem ist aus ›Sturm‹ angerufen und mitgeteilt worden, daß ein neuer Kommandeur unserer Wirtschaft 6 an Ihre Stelle gekommen ist. Wir haben ihn noch nicht gesehen. Wie steht es bei Ihnen dort, Genosse Leutnant? Hauptmann Abrossimow kam heute ganz früh mit einigen Leuten aus der großen Wirtschaft. Halten Sie sich, Genosse Leutnant! Wir kommen Ihnen zu Hilfe.
Leutnant Charlamow (Charlamow)«
Die Unterschrift ist wie die eines Ministers, weitläufig, schief, mit einem wunderbaren barocken »Ch« und einer ganzen Schar von Kringeln, Klammern und Pünktchen, die wie Vögel um sie herumflattern.
Ich zerreiße den Zettel und verbrenne die Fetzen. Was ist ihm eingefallen, durch die Frontlinie einen solchen Zettel zu schicken. Ach, Charlamow, Charlamow! Er ist in Wirklichkeit gar nicht schlecht, gibt sich sogar Mühe, bloß eben sehr …
Walega öffnet mit einem deutschen Büchsenöffner die Konservendosen. Du Teufelskerl mit den großen Ohren! … Bist mit den Konserven durch die Frontlinie gekrochen. Hast meinen Mantel mitgeschleppt und auch den Zettel mitgebracht. »Da habe ich denn gesagt, daß ich mich gerade auf den Weg zu Ihnen machen wollte« … Als ob’s um die Ecke wäre, im zweiten Stockwerk.
Walega schnauft, es will ihm nicht gelingen, mit dem ungewohnten Öffner die Büchse aufzumachen. Er fragt gar nicht mal, ob ich hungrig bin. Ich stelle keine Fragen. Ich spüre, daß ich nicht den richtigen Ton treffen würde. Andere stellen sie – Karnauchow, Tschumak. Walega antwortet ungern.
»Der Mantel war ein bißchen hinderlich, paßt nicht … Sonst ging’s. Dort, ein wenig mehr nach links, ist bei ihnen eine Lücke. Zwischen den Gräben. Hab es am Tage ausgekundschaftet, und in der Nacht … Soll ich’s vielleicht aufwärmen, Genosse Leutnant?«
»Nein, ist nicht nötig. Außerdem ist nichts da, worauf man wärmen könnte.«
»Einen Primuskocher mitzubringen, darauf bist du wohl nicht gekommen?« lacht Tschumak.
Statt einer Antwort zieht Walega aus dem Mantel einen deutschen Taschenspirituskocher und eine Handvoll weißer zuckerähnlicher Hartspiritusstücke. Schweigend, ohne den Anflug eines Lächelns, legt er beides auf den Tisch.
»Lohnt sich nicht, Walega. Wir werden es auch so auffuttern.«
Und alle vier leeren wir mit Appetit die Büchse. So ein Schmorfleisch ist doch eine wunderbare Sache …
14
Die Uhr zeigt halb vier. Vier. Wir warten. Halb fünf.
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