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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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überfall, und dann ist Schluß. Stille zieht ein. Die ersten Raketen steigen hoch.
    13
    Lang ausgestreckt auf der Holzpritsche, erzählt Tschumak von einer gewissen Musja aus dem Lazarett.
    Wir – Karnauchow und ich – putzen unsere Pistolen.
    Erstaunlich friedlich leuchtet die Lampe unter ihrem grünen Schirm.
    »Hast du eine Ahnung, was dort in Kuibyschew für eine Ordnung herrscht!« sagt rauchend und spuckend Tschumak. »Die Tore verschlossen, Wache; spazierengehen darfst du nur im Hof. Und der Hof ist nicht größer als ein Fünfkopekenstück. Auf allen Seiten Mauern, in der Mitte Asphalt, Bänke. Eis wird verkauft. Nun spaziere auf diesem Hof und taxiere die Krankenschwestern. Sie sind nicht schlecht, kampferprobt … Haben aber Angst vor den Vorgesetzten. Sitzen wohl neben einem auf der Bank oder setzen sich ans Bett, aber mehr – auf keinen Fall … Verboten – und Schluß … Als ich bettlägerig war, da ging’s, da hatte ich keine Lust, wurde sogar ängstlich. Aber später, als ich anfing zu gehen, da stellte ich fest, daß ich wieder lebendig wurde, daß das Blut in Wallung geriet. Es kam wohl in Wallung, aber es hatte keinen Sinn: ›Verboten, Genosse Kranker. Sie müssen sich erholen und ausruhen.‹ Nicht zu sagen, was für eine gute Erholung. Den ganzen Tag wälzt man sich auf dem Bett herum, und abends geht man ins Kino. Lauter alte Filme: ›Alexander Newskij‹, ›Posharskij‹, ›Mädchen mit Charakter‹. Die Filmstreifen reißen wie alte Lumpen. Stinken tut’s nach Gips. Brrrr …«
    Karnauchow lächelt mit einem Mundwinkel.
    »Komm zur Sache. Hattest von irgendeiner Musja angefangen …«
    »Musja kommt auch noch dran. Unterbrich mich nicht. Gefällt’s dir nicht, hör nicht zu. Geh deine Maschinengewehre kontrollieren. Ich werd’s dem Leutnant erzählen. Der Leutnant hat noch nie im Lazarett gelegen. Man muß ihm ein paar Fingerzeige geben.« Er greift nach einer neuen Zigarette. »Leichte, man kann sich nicht satt rauchen …« Er fährt fort, demonstrativ sich mir zuwendend: »Der Arm liegt also in Gips. Die linke Speiche ist zerschmettert. Nachts beim Schlafen weiß man gar nicht, welche Lage man einnehmen soll. Der Haken ragt heraus und stört. Bloß gut, daß der Knochen unterhalb des Ellbogens zerschlagen ist. Bei denen, wo es höher ist, oder gar das Schlüsselbein, da ist es erst Mist. Um die ganze Brust ein Panzer aus Gips, und die Hand auf einem Gestell. Man nennt sie im Lazarett ›Flugzeuge‹. Beim Gehen ragt die Hand einen halben Meter nach vorn … Und die zweite Wunde – etwas unterhalb des Rückens, dort sitzt bis jetzt noch ein Splitter … Jetzt spüre ich nichts mehr. Aber damals auf den Eimer gehen – war auch ein Spaß. Und vor Musja geniert man sich dabei … Und sie ist, wie es sich gehört! Solche Zöpfe! Kittel auf Taille. Sie setzt sich ans Bett – ich konnte damals noch nicht gehen –, füttert mich vom Löffelchen mit Rührei aus Pulver, und ich liege dabei wie auf Nadeln … Später fingen wir an, aus dem Fenster zu klettern … Aus dem Badezimmer konnte man auch gut springen, zwei Meter, nicht höher. Wenn man sich auf den Heizkörper stellte, reichte man mit dem Kinn gerade bis zum Fensterbrett. Ein Hauptmann lag dort mit mir. Ingenieur, wie du! Kultivierter Bursche, gebildet, hatte bis zum Kriege als Erster Ingenieur in einem Werk gearbeitet. Wir haben mit ihm gemeinsam, nur in Unterhosen und Nachthemden mit Lazarettstempeln, Sturzflüge gemacht. Gleich um die Ecke war ein uns bekanntes Haus. Dort zogen wir uns um, und dann ging’s in die Stadt. Der Hauptmann hatte einen Bauchschuß, war aber schon auf dem Wege der Genesung. Er kroch als erster hinaus und zog mich dann am Gipshaken nach. Als das Fenster verschalt wurde – die Badewärterin hatte uns einmal erwischt –, lernten wir, an der Regenrinne runterzuklettern. Wir hatten einen ohne Fuß bei uns. Der hakte seine Krücken an einem Arm fest, und dann wie ein Affe, daß der Putz nur so bröckelte … Ja, der Mensch paßt sich an. Noch unter der kalten Erde wird er Streiche machen.«
    Karnauchow lacht.
    »Bei uns in Baku türmten sie während der Kinovorstellungen. Man konnte es nur hören, wie einer nach dem andern aus dem Fenster sprang, hopp, hopp, hopp. Am Schluß der Vorstellung waren nur noch die Bettlägerigen auf Bahren anwesend.«
    »Was heißt Kino«, unterbricht ihn Tschumak, ohne sich umzudrehen. »Wir hatten uns im Krankenzimmer Sechs eine Strickleiter gemacht, ganz

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