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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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nachzudenken.
    »An Wodka habe ich noch gedacht … Und woran noch? Geld hatte ich genug. Gelehrter wollte ich nicht werden.« Pause. »Aber jetzt …«
    »Solltest du wirklich erkaltet sein?«
    Tschumak antwortet nicht gleich. Die Hände in den Hosentaschen, breitbeinig, bemüht er sich, die richtigen Worte zu finden.
    »Nicht, daß ich erkaltet wäre, die Weiber habe ich stets gern gehabt und werde sie auch weiterhin gern haben, aber – im Kriege …« Wieder Pause. »Verstehst du, vor dem Kriege war ich mir selber Gott und Zar. Ich hatte meine Freunde. Wir haben zusammen getrunken, gemeinsam andern die Fressen eingeschlagen, solchen …« Er lächelt schwach und zwinkert mir mit seinem wie immer schlauen Auge zu – »solchen Bürschchen. Aber davon ist hier nicht die Rede …«
    Er setzt sich auf die Tischkante und baumelt mit den Beinen. Es fällt ihm schwer, seine Gedanken in Worte zu kleiden. Er müht sich sichtlich, aber ins Schwarze trifft er nicht.
    »In Sewastopol zum Beispiel. So ein Vorfall. Noch ganz zu Anfang der Belagerung. Im Dezember oder Ende November? Ich weiß nicht mehr … Ich hatte einen Kameraden. Eigentlich nicht mal Kamerad. Wir hatten einfach zusammen auf der ›Roten Ukraine‹ gedient. Terentjew. War auch Matrose. Dann sind wir gemeinsam an Land und in die Gräben gekommen. Neben dem Französischen Friedhof. Bis zum Krieg haben wir beide wie Hund und Katze miteinander gelebt. Er wollte mir ein Frauenzimmer abspenstig machen. Sonst war der Bursche in Ordnung. Mir haben die Fäuste gejuckt, ihm ein paar Zähne einzuschlagen …«
    In der Ecke fängt ein Verwundeter an, unruhig zu werden, bittet um etwas zu trinken. Wir geben ihm ein nasses Läppchen zum Lutschen – das ist alles, was jetzt in unseren Kräften steht. Er zieht den Mantel übers Gesicht und wird wieder ruhig. Ich bemühe mich, nicht in die Richtung zu sehen, wo der Thermosbehälter mit Wasser steht. Tschumak legt das nasse Läppchen darauf und setzt sich wieder auf den Tischrand.
    »Im ganzen mochte ich ihn nicht und er mich auch nicht …«
    Karnauchow sitzt da, den Kopf in die Hände gestützt, und wendet seine grauen Augen nicht von Tschumak. Tschumak baumelt mit den Beinen.
    »Hab ihm denn auch ein paar Zähne eingeschlagen, und er hat mir ein paar Rippen eingedrückt. Habe zwei, vielleicht auch drei Wochen nicht richtig durchatmen können. Aber das ist es nicht … Kurz gesagt, einmal haben mir die Fritzen den ganzen Rücken mit einem Explosivgeschoß aufgerissen. Etwa in fünfzehn Schritt Entfernung von ihren Gräben. Ich dachte, mein Ende sei gekommen. Hab schon Blasen hochsteigen lassen. Und weiß der Teufel, ob ich nicht ganz auf Grund gegangen wäre … Und morgens bin ich in unserem Graben zu mir gekommen. Da stellte sich heraus – Terentjew hatte mich hergeschleppt …«
    Einige Augenblicke sitzen wir schweigend. Tschumak knaupelt mit dem Fingernagel am Tischrand. Karnauchow sitzt, wie er gesessen hat, den Kopf auf die Hände gestützt. Das Zünglein der Flamme in der Lampe zittert. Eins ihrer Enden ist lang und dünn und leckt mit einem schwarzen Streifchen am Glas.
    »Jener Terentjew ist nachher gestorben. Ihm sind beide Beine abgerissen worden. Ich habe es im Lazarett in Gagry erfahren. Man hat mir seine Fotografie gegeben. Er hatte vor seinem Tode darum gebeten … Im übrigen – Terentjew ist nicht mehr, was gibt’s da noch zu reden …«
    Er springt vom Tisch und fängt wieder an, im Unterstand auf und ab zu gehen. Karnauchow verfolgt ihn mit den Augen, ohne den Kopf zu wenden.
    »Verstehst du? Vor dem Kriege waren die Kameraden für mich nur … wie soll ich sagen … nur da, damit es einem nicht langweilig ist, allein zu trinken. Und jetzt … da habe ich einen im Spähtrupp. Du kennst ihn, Bataillonskommandeur, derselbe, um dessentwillen wir beide uns gestritten haben. Weißt du, für ihn würde ich bereit sein, einem die Kehle mit den Zähnen durchzubeißen … Oder Gellmann – ein Jude. Schick ihn, wohin du willst, er wird alles machen. Seine ganze Familie haben die Fritzen in irgendeinem Städtchen restlos umgebracht …«
    Er unterbricht sich mitten im Satz, macht scharf kehrt und geht aus dem Unterstand. Man hört die Stufen unter seinen Schritten knarren. Karnauchow macht sich wieder an seine Zeichnung.
    »Hatten Sie eine Auseinandersetzung mit Tschumak, Genosse Leutnant?« fragt er zartfühlend, ohne den Kopf zu heben.
    »Ja, ich hatte so etwas Ähnliches«, antworte ich.
    Karnauchow

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