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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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Fünf. Stille … Sechs, sieben … Es wird hell. Wir geben das Warten auf.
    Also noch einen Tag …
    Während der ersten Hälfte des Tages überschütten die Deutschen uns förmlich aus mittleren und sogar aus schweren Granatwerfern. Gegen drei Uhr sind von uns sechzehn nur noch zwölf übrig. Vier, die gestern verwundet wurden, sterben. Meiner Meinung nach Blutvergiftung. Einer hat Starrkrampf. Das ist eine schreckliche Sache. Er stirbt vor meinen Augen – er ist nicht mehr ganz jung, etwa vierzig. Ein Explosivgeschoß hat den rechten Unterarm getroffen. Er hat die ganze Zeit gefürchtet, daß man ihm die Hand amputiert. Vor dem Kriege war er Metalldreher. »Was soll ich ohne Hand?« sagte er und legte seine Hand, die auf ein Brettchen von einem Patronenkasten festgebunden war, auf dem Knie zurecht. »Ohne Hand kann man in unserm Beruf nichts leisten. Dann schon lieber ein Bein.« Fragend blickte er bald mich, bald Karnauchow an, als ob unsere Meinung was wert wäre. Wir sagten ihm, daß Knochen schnell wieder zusammenheilen und daß Fleisch wieder nachwächst, daß der Nerv bei ihm heil geblieben ist, wenn er die Finger bewegen kann. Das beruhigte ihn. Er erzählte sogar von irgendwelchen Vervollkommnungen, die er vor dem Krieg an seiner Drehbank gemacht hat. Dann fing sein Gesicht zu zucken an. Der Mund verzog sich zu einem schrecklich angespannten Lächeln. Der Hals wurde steif. Die Krämpfe ergriffen den ganzen Körper. Er krümmte sich wie ein Bogen, Füße und Hinterkopf auf die Erde gestützt. Schrie. Es war unmöglich, ihn geradezurichten, der Körper war wie Eisen.
    »Das ist Starrkrampf«, sagte Karnauchow. »Bei uns im Lazarett ist auch einer daran gestorben.«
    Nach zwei Stunden starb er.
    Sein Name war Fessenko. Ich erfahre das aus seinem Soldbuch. Der Name kommt mir bekannt vor. Ich muß ihn irgendwo gehört haben. Später fällt es mir ein. Das ist einer von den beiden Soldaten, die nachts gegraben haben, als ich vom Minenfeld zurückkehrte. Sie konnten damals dem Melder nicht klarmachen, wo sich der Bataillonskommandeur befände.
    Auf unseren Unterstand fällt eine Hundertzwanzig-Millimeter-Granate. Theoretisch müßte er das aushalten – vier Knüppellagen aus fünfundzwanzig Zentimeter dicken Stämmen, darüber noch Erde. Praktisch aber wird er unbrauchbar. Die Überdachung hält wohl aus, aber die Holzverkleidung fällt ab, und alles wird mit Erde verschüttet.
    Wir ziehen um in den Nachbarunterstand, wo die Verwundeten liegen. Es sind vier. Einer spricht im Fieber. Er hat einen Kopfschuß, spricht von Zinktrögen, dann ruft er nach jemandem, dann spricht er wieder von den Zinktrögen. Er hat ein ganz wächsernes Gesicht, und die Augen sind die ganze Zeit geschlossen. Wahrscheinlich wird auch er sterben.
    Die Toten graben wir nicht ein. Die Granaten pfeifen und explodieren ringsum ohne Unterlaß. In einer Minute zähle ich sechs Explosionen. Es gibt auch Pausen, aber keine dauert länger als sechs bis sieben Minuten. In diesen sieben Minuten schaffen wir es gerade, festzustellen und anzufragen, ob die Beobachter noch leben.
    Die letzte Zigarette, zusammengeholt aus allen Taschen, gefüllt halb mit Machorka, halb mit Brotkrumen, rauchen wir zu dritt – ich, Karnauchow und Tschumak. Wir haben keinen Tabak mehr. Die Kippen sind auch längst alle gesammelt.
    Das Wasser geht zu Ende. Ein Thermoskübel ist von einem Splitter getroffen worden. Wir bemerkten es erst, als beinahe alles Wasser schon ausgelaufen war: Ich bückte mich, um einen Bleistift aufzuheben, und geriet mit der Hand in die Pfütze. Im anderen sind zehn Liter, nicht mehr. Die Verwundeten bitten ständig um etwas zu trinken. Wir wissen nicht, ob man ihnen etwas geben darf. Einer hat einen Bauchschuß – der darf auf keinen Fall etwas trinken. Die ganze Zeit bittet und bettelt er: »Nur einen Tropfen, Genosse Leutnant, nur einen Tropfen, der Mund ist so trocken …«
    und blickt mich mit solchen Augen an, daß ich am liebsten in die Erde sinken möchte. Auch die Maschinengewehre wollen trinken.
    Nach drei Uhr fangen die deutschen Angriffe an. Das geht abwechselnd so bis zum Abend: Angriff, Beschuß, Angriff, wieder Beschuß. Den letzten Angriff schlagen wir ab, schon ganz erschöpft. Die Maschinengewehre zischen wie Teekessel. Woher soll man Wasser kriegen? Wenn wir kein Wasser haben, werden die Maschinengewehre morgen verstummen. Und das bedeutet …
    Am Abend machen wir Bilanz.
    Mannschaften elf, ich, Tschumak, Karnauchow, Walega,

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