Stalins Geist
gesucht.«
»Da war ich eben«, sagte Schenja. »Das ist ein weiter Weg.«
»Dann besorg dir einen leichteren Rucksack.«
»Ich wette, Marat könnte solche Minen im Schlaf entschärfen.«
»Da könntest du recht haben.«
»Ich hab Langeweile.«
»Ich hab zu tun«, sagte Arkadi mit dem dazu passenden Blick.
Schenja wurde rot. So viel Farbe hatte Arkadi in semen Wangen noch nie gesehen.
Er fand einen Stolperdraht, dem er folgen konnte, aber als er vorwärtsrobbte, kratzte etwas an seinem Bauch, und er rollte von einer Mine herunter, die allein für sich tief im Boden steckte. Nachdem sie sechzig Jahre gewartet hatte, explodierte sie mit dem sanften Ploppen eines Champagnerkorkens.
Ein Blindgänger.
Als Arkadi aufblickte, war Schenja weg. Nur sein Lachen war noch da.
Vierundzwanzig
Der gleichmäßige Nieselregen konnte die Stimmung im Lager nicht dämpfen. Obwohl das Graben für den Rest des Tages ausgesetzt war, fuhr niemand weg, denn jeder Trupp hatte Wodka und Bier, Würste und Brot, Rückenspeck und Käse mitgebracht. Außerdem waren die Überreste von zwanzig Skeletten erfolgreich zum Untersuchungszelt gebracht worden, genug für die Pathologin, um alle Opfer zu Russen zu erklären, wenn sie fertig war.
Im Besucherzelt hörte Arkadi zu, wie Wiley Isakows Loblied sang.
»Ein Offizier, der seine Verwundeten nach Hause trägt? Das ist genau das Image, auf das die Leute reagieren. Dieses Band wird soeben im Studio geschnitten. Es ist erst vier Uhr. Wenn die Pathologin ihren Kram auf die Reihe bringt, schaffen Sie es, zweimal hintereinander als Hauptmeldung in die Nachrichten zu kommen.«
»Und wenn die Leichen gar keine Russen sind?«, fragte Isakow.
»Sie haben russische Stahlhelme gefunden.«
»Aber wenn sie keine sind?«
Wiley warf einen Blick zu Lydia hinüber, die vor dem Zelt damit beschäftigt war, Bewunderern Autogramme zu geben. Der Kameramann namens Jura telefonierte per Handy mit Grischas Frau.
»Wenn es Deutsche sind?« Wiley senkte die Stimme. »Zugegeben, das wäre nicht annähernd so gut, aber mit der Rettung Grischas werden Sie sich immer noch gut verkaufen.«
»Und will ich das? Mich verkaufen?«
»Mit Leib und Seele«, sagte Pacheco. »Diese Brücke haben Sie an dem Tag überschritten, als Sie uns engagierten.«
»Da wurde aber nichts dergleichen erwähnt.«
»Nikolai, das ist die Nervosität vor der Wahl. Entspannen Sie sich. Diese Grabung wird Sie an die Spitze bringen.«
»Er hat recht«, sagte Urman zu Isakow.
»Bloß ein Glück, dass wir zwei Kameraleute dabeihaben.« Pacheco hob ein Glas Brandy. »Auf Grischa.«
»Wie dem auch sei«, sagte Wiley, »das hier ist genau das, was Sie gebraucht haben. Ihre Umfrageergebnisse sind magerer geworden.«
»Das sollten sie vielleicht auch«, sagte Isakow. »Was verstehe ich denn von Politik?«
»Sie müssen nichts davon verstehen. Man wird Ihnen sagen, was Sie tun sollen.«
»Man wird mich informieren?«
»Genau«, sagte Pacheco. »Der Job ist nicht schwierig, wenn Sie ihn nicht schwierig machen.«
»Sie werden jede Menge Rat bekommen«, sagte Wiley. »Und Immunität, vergiss das nicht«, sagte Arkadi. »Das ist doch sicher ein Plus.«
Jura hatte sein Telefonat beendet. »Du spielst also Schach?«, fragte er Schenja.
Schenja nickte.
»Wollen wir nicht eine Partie spielen, während wir warten?
Du kannst Weiß nehmen.«
»D vier.«
»Das war’s schon?«
»D vier.«
Jura runzelte die Stirn. » Moment mal. Ich dachte, du hättest
ein Schachbrett in deinem Rucksack.«
»Brauchen Sie eins?«, fragte Schenja. Arkadi nahm ihn mit auf einen Spaziergang.
Trotz des Regens standen viele Ausgräber an ihren tragbaren Grills. Camping war Camping. In ihren Zelten sangen die Leute Lieder aus dem Krieg, erfüllt von Wodka und Nostalgie. Eine Schlange bildete sich vor einem Labor-Glasballon mit Getreideschnaps, dekoriert mit Zitronenscheiben. Es war ein verbindendes Erlebnis für Väter und ihre Söhne.
»Jura wollte nur nett sein«, sagte Arkadi. »Du hättest auf dem Brett spielen können.«
»Das wäre Zeitverschwendung gewesen.«
»Vielleicht hätte er dich überrascht. Großmeister Platonow war während des Krieges hier und hat gegen die Soldaten gespielt. Gegen jeden.«
»Zum Beispiel?«
»Soldaten, Offiziere. Er sagt, es waren ein paar gute Partien dabei.«
»Mit wem?«
Arkadi ging Schenjas spöttisches Lächeln auf die Nerven. »Mit jedem«, sagte er lahm.
Sie trafen auf den Großen Rudi, der ihnen mit
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