Stalins Geist
Straßenecke und mit einer Reporterin. Surins weißes Haar flatterte hin und her, und er hatte rote Apfelbäckchen. Er lächelte nachsichtig, ein geborener Schauspieler. Nach seinen verzweifelten Anrufen bei Arkadi schien er sich wieder gefasst zu haben.
» … ein langer Winter, und manchmal ist der Winter wie die Saure-Gurken-Zeit im Sommer, wenn alle möglichen seltsamen Geschichten plötzlich in den Nachrichten auftauchen, nur um eine Woche später wieder vergessen zu sein.«
»Die Gerüchte, denen zufolge Moskauer Bürger Stalin in der Metro gesehen haben, sind also erfunden?«
Surin dachte einen Moment nach. »>Erfunden< würde ich nicht sagen. Letzte Nacht wurde in einer Metrostation eine Störung gemeldet. Ich habe einen leitenden Ermittler entsandt, der mit Angelegenheiten, die Stalin betreffen, besonders vertraut ist, und nachdem er alle sogenannten Zeugen befragt hatte, kam er zu dem Schluss, dass ein solches Ereignis in Wahrheit nicht stattgefunden habe. Nach Angaben des ErmittIers Renko war Folgendes geschehen: Einige der älteren Fahrgäste waren versehentlich früher als beabsichtigt ausgestiegen und sahen sich infolgedessen gestrandet, denn oben tobte der Schneesturm, und unten fuhren keine Züge mehr.«
Die Reporterin ließ nicht locker. »Welche Station war das?«
»Das ist ohne Bedeutung.«
»Stellen Sie weitere Ermittlungen an, Staatsanwalt Surin?«
»Wir jagen keine Phantome. Nicht, solange leibhafte Kriminelle in unseren Straßen unterwegs sind.«
»Eine letzte Frage: Wie ist dieses Gerücht über Stalin entstanden? Glauben Sie oder Ihr Ermittler, es handelt sich um einen Jux? Oder um ein politisches Statement?«
Surin sammelte sich. »Wir glauben nicht, dass weitere Schlüsse gezogen werden müssen. Stalin ist eine Gestalt von unbestreitbarer historischer Bedeutung, die nach wie vor positive und negative Reaktionen hervorruft, aber es gibt keinen Grund, ihn für jeden unserer Fehler verantwortlich zu machen.«
»Sogar dafür, dass wir in der falschen Station aus der V-Bahn steigen?«
»Genau. »
Arkadi saß wie vom Donner gerührt da und nahm nur undeutlich wahr, dass die nächste Meldung von einem Kriegsveteranen handelte, der einen Pizzaboten erschossen hatte, weil der aussah wie ein Tschetschene. Andere Veteranen sprachen ihrem Waffenbruder moralische Unterstützung aus.
Eva schaltete den Fernseher aus. »Du bist >vertraut mit Stalin Was hat Surin damit gemeint?«
»Keine Ahnung.«
Das Telefon klingelte, und diesmal nahm Arkadi den Hörer ab.
»Ah«, sagte Surin, »keine Spielchen mehr. Jetzt melden Sie sich. Haben Sie die Nachrichten gesehen? War das nicht interessant? »
»Die Sache hätte nicht an die Öffentlichkeit dringen sollen.«
»Da bin ich Ihrer Meinung, aber anscheinend hat jemand mit der Presse gesprochen. Ich musste mich mit den Reportern befassen, weil der Ermittler, dem der Fall zugewiesen wurde, unerreichbar war. Renko, wenn ich Sie das nächste Mal anrufe, werden Sie zum Telefon springen - ob Sie ein freies Wochenende haben oder im Sterben liegen.«
»>Vertraut mit Stalin«, wiederholte Eva. »Frag ihn, was er damit gemeint hat.«
»Erklären Sie Ihrer Freundin, dass sie sich in einer heiklen Situation befindet«, sagte Surin. »Ich habe heute beschlossen, mir ihre Papiere noch einmal anusehen. Dr. Eva Kaska ist eine geschiedene ukrainische Staatsbürgerin, deren Aufenthaltserlaubnis für Moskau aufgrund einer Anstellung in einer hiesigen Poliklinik ausgestellt wurde. Vorige Arbeitsstelle: eine medizinische Klinik in der Sperrzone von Tschernobyl. Ein negatives Wort, ja ein bloßer Anruf aus meinem Büro würde genügen, und sie würde ihre derzeitige Anstellung verlieren und in die Ukraine zurückgeschickt, wo sie Babys mit zwei Köpfen verarzten kann. Haben Sie das verstanden? Sagen Sie nur, Ja.«
»Vollkommen.« Arkadi sah, wie Eva das Laken fester um sich zog.
»Und deshalb werden Sie immer ans Telefon gehen, wenn ich Sie anrufe, und Sie werden diese Ermittlungen genau so führen, wie ich es Ihnen sage. Einverstanden?«
»Was immer er will, sag nein«, sagte Eva.
»Welche Ermittlungen?«, fragte Arkadi. »Sie haben der Reporterin gesagt, es gibt keine.«
»Was hätte ich sonst sagen sollen? Dass wir mitten in Moskau auf Geisterjagd gehen? Es wird Ermittlungen geben, aber sie werden geheim bleiben.«
»Glauben Sie nicht, dass die Leute sich wundern werden, wenn ich Fragen stelle, obwohl ich keinen Fall bearbeite?«
»Sie werden einen Fall
Weitere Kostenlose Bücher