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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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bearbeiten. Sie werden den Behauptungen eines Bürgers nachgehen, der sagt, man habe sein Leben bedroht.«
    »So jemand braucht einen Leibwächter, nicht mich.«
    »Wir nehmen es nicht ernst«, sagte Surin. »Er behauptet seit zwanzig Jahren, Morddrohungen zu bekommen. Er ist paranoid. Außerdem ist er zufällig ein Stalin-Experte. Sie werden eine Ermittlung innerhalb einer Ermittlung führen. Übrigens habe ich dafür gesorgt, dass Sie heute Abend anfangen können. Der Experte hat sich bereit erklärt, sich mit Ihnen in der Metrostation Park Kultury zu treffen und mit dem letzten Zug der Nacht zur Station Tschistyje Prudi zu fahren. Sie werden den letzten Wagen nehmen, denn anscheinend hat die Sichtung dort stattgefunden.«
    »Wer ist dieser Experte?«, fragte Arkadi, aber Surin hatte schon aufgelegt.
    »Du wolltest es doch nicht machen«, sagte Eva.
    Arkadi füllte ihr Glas und dann seins. »Tja, du hast es dir anders überlegt, und jetzt habe ich es mir auch anders überlegt. Prost.«
    Eva rührte ihr Glas nicht an. »Ich muss zum Dienst. Eine Wodkafahne ist das Letzte, was ich gebrauchen kann, wenn ich kranke Kinder versorge. Du bist >vertraut mit Angelegenheiten, die Stalin betreffen    »Mein Vater kannte Stalin.«
    »Sie waren Freunde?«
    »Das ist schwer zu sagen. Stalin hat die meisten seiner Freunde erschießen lassen. Ich fahre dich in die Klinik.«
    »Nein, ich gehe zu Fuß. Ich kann etwas frische Luft gebrauchen.« Eva war auf einem ganz anderen Kurs. »War Stalin je hier in der Wohnung?«
    »Ja.«
    »Ich stehe da, wo Stalin gestanden hat?« Sie schaute auf ihre nackten Füße hinunter.
    »Nicht hier im Schlafzimmer, aber vermutlich sonst überall.«
    »Weil ich immer gern die Atmosphäre in mich aufnehme.
    Und jetzt hab ich das Gefühl, ich bin wirklich nach Moskau gekommen. »
    »Das ist die Historikerin in dir.«
    »Sicher nicht die Romantikerin.«
    Ah, das war es, dachte Arkadi. Stalin war schuld.
     
    Für die Arbeiter, die vor Ehrgeiz brannten, für Soldaten mit tranig bekifften Gesichtern, für diejenigen, die zu alt oder zu arm waren, um sich ein Taxi heranzuwinken, für Nachtschwärmer, die mit aufgeplatzter Lippe und Glasscherben im Haar nach Hause fuhren, für Liebespaare, die selbst in Handschuhen noch Händchen hielten, und für all die Gestalten, die einfach die Zeit aus den Augen verloren hatten, war das beleuchtete rote M der Metrostation Park Kultury ein Leuchtfeuer in der Nacht. Wie die Überlebenden einer Katastrophe stolperten sie in den Bahnhof, stampften den Schnee von den Schuhen und lockerten ihre Schals. Arkadi beobachtete sie; noch fünfzehn Minuten bis zur letzten Bahn der Roten Linie, und er hatte niemanden gesehen, der aussah wie ein Stalin-Experte.
    Eva wusste, dass er ihr einen Teil seines Gesprächs mit Surin verschwiegen hatte. Jetzt hatten sie beide gelogen. Aber was hätte er sagen sollen? Wenn er ihr erzählt hätte, dass der Staatsanwalt sie als Druckmittel benutzte, hätte sie ihre Sachen gepackt und wäre noch am selben Tag verschwunden. Selbst wenn sie versprochen hätte, nicht zu gehen, wäre er nach Hause gekommen und hätte die Wohnung leer vorgefunden.
    Etwas bewegte sich an dem Schneewall neben dem Gehweg entlang. Es kam ein Stück voran, hielt dann an und lehnte sich an den Wall. Ein leichter Schneefall funkelte. An dem nahenden Etwas traten nach und nach ein Mantel und eine Wollmütze mit Quasten zutage, wie sie ein lappländischer Rentierhirte tragen würde, und dann, als es noch näher kam, eine Nase wie ein Schiffsbug, buschige Brauen und blutunterlaufene Augen. Großmeister Platonow.
    »Ermittler Renko! Schauen Sie sich diese beschissenen Stiefel an.« Er deutete auf die valenki aus Filz, die er trug.
    »Sie haben sie verkehrt herum an.«
    »Ich weiß, dass ich sie verkehrt herum anhabe. Ich bin kein Kretin. Aber es gab keinen Platz, um mich hinzusetzen und sie umzuwechseln. »
    »Sind Sie mein Stalin-Experte?«
    »Sind Sie mein Beschützer?« In Platonows Augen erlosch das wütende Funkeln und verwandelte sich in Resignation. »Ich schätze, wir sind beide am Arsch.«
     
    Fünf
    Die Moskauer Metro ist der unterirdische Palast des Volkes.« Platonow hinkte; er hatte den einen Stiefel ausgezogen und den anderen noch am Fuß. Er zeigte auf die Wände. »Milchweißer Kalkstein von der Krim. Jetzt, da das Gesindel weg ist, sieht man es richtig.«
    Mit ihren Bögen und Tunnelgängen hatte die Halle der Metrostation Park Kultury

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