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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Aktenordner auf und holte das Foto eines nackten Paares im Bett heraus. »Der Mann ist Boris Bogolowo, genannt Bora, aus Twer. Du bist ihm an der Metrostation Tschistyje Prudi begegnet.«
    »Er ist auf dem Eis eingebrochen.« Arkadi erkannte die Schülerin Marfa, aber was ihm ins Auge fiel, war die Tätowierung auf Boras Brust. »OMON.«
    »Genau. Aber jetzt kommt der Hammer.« Viktor legte das Foto eines Mannes auf den Tisch, dessen Gesicht von seinen langen Haaren verhüllt war. Die Tätowierung auf seiner Schulter zeigte den OMON-Tiger, der ein Rudel Wölfe vertrieb. Die Worte OMON und TWER standen vor einem verschlungenen Hintergrund aus Steinbrücke, Weiden und einem Gebirgsbach. Daneben legte Viktor das Foto, das Soja Filotowa ihnen gegeben hatte. »Das ist Alexander Filotow, ihr Mann. Und die Tätowierung, das muss ich sagen, ist ein Meisterwerk.«
    »Oder eine Zielscheibe.«
    Als Arkadi ging, musste er sich zwischen den Schwarzen Baretten hindurchzwängen, die an der Bar tranken. Es waren stattliche Männer, und sie tranken im Takt; sie knallten ihre Gläser auf die Theke, ließen sie vom Barmann bis zum Rand füllen und leerten sie auf »Los!« in einem Zug. Bei dieser Arbeit wurde einem warm; sie schwitzten und hatten rote Gesichter.
    »Pizzaservice!«, schrie der, der als Letzter fertig war. Es war immer wieder komisch.
     
    Zehn
    Als Tschetschenien seine Unabhängigkeit ausrief, war die erste Reaktion vieler Russen lautes Gelächter. Die Moskauer Unterwelt war so sehr von der tschetschenischen Mafia beherrscht, dass diese Bekanntmachung aufgenommen wurde, als hätte eine Verbrecherbande sich zur Regierung erklärt. Das Problem war nur, dass die Tschetschenen die Unabhängigkeitserklärung ernst nahmen, und mehr als zehn Jahre später war der Krieg immer noch im Gange.
    Arkadi hatte nie versucht, Eva nach ihrer Vergangenheit in Tschetschenien zu befragen, jedenfalls nicht nachdrücklich genug; wenn die Rede auf den Krieg kam, war Eva immer verstummt. Sie hatte nur erwähnt, dass sie mit dem Motorrad die Runde von Dorf zu Dorf gemacht hatte, und wie sie es sagte, klang es nach einer Sonntagsspazierfahrt. Andere nannten die Route, die sie gefahren war, die »Scharfschützenallee«. Aber gewisse Fragen erforderten jetzt Aufmerksamkeit. Wenn sie auf der Seite der Rebellen in den Konflikt eingetreten war, wie war sie dann schließlich bei den russischen Truppen gelandet? Wie lange war sie mit Isakow zusammen gewesen? Wie lächerlich hatte Arkadi sich gemacht? Und würde er, weil er zu spät zu seinem Treffen kam, durch einen Sprint zum Majakowski-Platz seine Lunge zur Explosion bringen?
     
    Bei der Majakowski-Statue war keine Spur von Ginsberg.
    Der sehnige Dichter der Revolution ragte über ihm auf, den bronzenen Arm ins Schneegestöber erhoben. Arkadi fragte sich, ob der Journalist mit der Metro oder mit dem Auto kommen würde. Das Gedränge in der U-Bahn war für einen Buckligen vielleicht unerträglich, und ein Taxi würde im Verkehr festsitzen. Arkadi war dem entkommen, weil er seinen Wagen mitten auf der Straße abgestellt und einem Verkehrspolizisten befohlen hatte, ihn zu bewachen. Trotzdem kam er eine halbe Stunde zu spät, und er befürchtete, Ginsberg könnte der erste Russe sein, der jemals pünktlich war.
    Er schlug den Kragen seiner Seemannsjacke hoch. Die Wärmestrahler der Straßencafes waren einladend. Ginsberg und er könnten sich darunter setzen und sich wie Toastscheiben hin- und herdrehen. Als er den Platz zum zweiten Mal umrundete, sah er zwei Milizfahrzeuge mit abgeschalteten Scheinwerfern, die eine Ecke absperrten, wo ein Schneepflug arbeitete. Der Pflug fuhr immer an derselben Stelle auf und ab. Als Arkadi näher kam, sprang ein Beamter aus dem vorderen Wagen und trat ihm in den Weg.
    »Ein Unfall?« Arkadi zeigte seinen Ausweis. »Ja.« Verpiss dich, sagte der Unterton.
    »Wo sind die Autos?«
    »Waren keine Autos.«
    »Warum lassen Sie dann den Verkehr nicht durch?«
    »Ich soll hier nichts sagen.«
    Arkadi sah keine Metallteile oder funkelnde Glasscherben auf der Straße.
    »Ein Fußgänger?«, fragte er.
    »Ein Betrunkener. Er lag auf der Straße, als die Pflüge durchkamen. Weil es schneit und weil der Schnee vom Schaufelblatt hoch gewirbelt wird, sehen die Fahrer nicht sehr viel. Sie haben ihn einfach überrollt. Haben ihn platt gewalzt.«
    Der andere Streifenwagen schaltete die Scheinwerfer ein.
    Die Lichtstrahlen beleuchteten rosarote Schneehaufen. »Haben Sie seinen

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