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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Namen?«
    »Keine Ahnung. Ein Jidd, glaube ich.«
    »Das ist alles?«
    »Ein Zwerg. Ein jiddischer Zwerg. Wer sieht so was an einem Abend wie heute?«
    »Hatte er etwas bei sich?«
    »Ich weiß es nicht. Die Kriminalpolizisten haben gesagt, es war ein Unfall. Die bei den -«
    »Isakow und Urman?«
    Der Polizist ging zu seinem Wagen und sah nach. Der Pflug schob den Schnee zusammen und presste ihn zu rosarotem Marmor. Der Polizist rief über das Wagendach hinweg: »Ja, Isakow und Urman. Sie sagten, es sei bedauerlich, aber es war ein Unfall. Kein Grund, großen Wirbel zu machen.«
    »Na ja, die beiden haben viel zu tun.«
     
    Als Arkadi in die Parteizentrale zurückkam, waren von der Feier nur noch Platonow, der Propagandist Surkow und Tanja übrig. Warum sie noch da war, erschloss sich nicht, aber es war offenkundig, dass Surkow sich verzweifelt bemühte, Eindruck zu schinden - schöne Frauen, die in die Parteizentrale hereinspazierten, hatten sich meist in der Adresse geirrt -, und die drei hatten sich in sein Büro gezwängt, wo er mit seinen vier Telefonen angeben konnte, mit drei Fernsehern und allen Fernbedienungen, die ein medienerfahrener Profi benötigte. Ein aufgeklappter Laptop auf dem Schreibtisch leuchtete azurblau. Die Wände waren bedeckt von Fotos vergangener Sowjet-Glorie: die Rote Fahne auf dem Dach des Berliner Reichstags, ein Kosmonaut in der Raumstation Mir, ein frohlockender Bergsteiger auf dem Mount Everest. In einer Vitrine lagen ein vergoldeter Säbel aus Syrien und ein Silberteller aus Palästina, letzte Tribute an die Partei.
    Arkadi hätte gern etwas über Ginsberg gesagt, um den Tod des Journalisten irgendwie zu vermerken. Es war möglich, dass Ginsberg betrunken unter den Schneepflug geraten war; Arkadi hatte selber gesehen, wie der Mann vor dem Gerichtsgebäude vom Randstein gestolpert war. Es war auch möglich, dass Isakow und Urman den Ruf nur zufällig erhalten hatten. Es war möglich, dass der Mond aus Käse war. Sicher war nur, dass die beiden Polizisten ihm immer einen Schritt voraus waren und dass das, was Ginsberg ihm hatte zeigen wollen, jetzt verschwunden war.
    Die Aufmerksamkeit aller anderen war auf eine weiße Uniformjacke gerichtet, die Surkow aus einer Holztruhe mit der Aufschrift »Geheime Archive der KPdSU« hob.
    »Seine Uniform.« Surkow schlug die Jacke auseinander und legte sie über die Armlehne des Stuhls vor dem Laptop. An den Faltknicken war der Stoff vergilbt, und er verströmte einen leichten Kampfergeruch.
    »Ich habe ihm von den Stalin-Erscheinungen in der Metro erzählt«, sagte Platonow zu Arkadi. »Das hat ihn in Fahrt gebracht.«
    »Ich gehe jetzt.«
    »Nur noch ein paar Minuten.«
    »Seine persönlichen Sachen.« Surkow breitete ein antikes Nähetui, das Foto eines sommersprossigen Mädchens in einem ovalen Rahmen und einen Samtbeutel mit einer rissigen Bruyere-Pfeife auf dem Tisch aus. Dann tippte er auf das Touchpad des Laptops. »Sein Lieblingsfilm.«
    Auf dem Monitor schwang ein Mann in einem Lendenschurz an einer Liane. Tarzan landete hoch oben auf einem Ast und stieß einen wilden, trillernden Schrei aus.
    »Wir kennen den Menschen Stalin«, sagte Surkow.
    Die Harfenistin zuckte die Achseln; anscheinend interessierte sie sich mehr für den Film. »Ich glaube nicht, dass Lianen so wachsen, von oben nach unten.« Ein leises Lispeln klang in ihren Konsonanten, die Andeutung eines korrigierten Sprachfehlers, was sie noch reizvoller machte.
    »Tanja«, sagte Surkow, »wie heißen Sie mit vollem Namen?«
    »Tanja.«
    »Tanja Tanja?«
    »Tanja, Tanjetschka, Tanjuschka«, sagte Platonow.
    »Sie sind alle betrunken. Bis auf Sie.« Sie zeigte auf Arkadi. »Sie müssen aufholen.«
    »Moment, so ist es perfekt.« Surkow nahm eine weiße Gipsbüste Stalins aus einem Schrank und ergänzte damit das Tableau auf seinem Schreibtisch. »Hier ist er.«
    Arkadi erinnerte sich, wie sein Vater gesagt hatte: »Stalin liebte Filme.«
     
    Der General und Arkadi hatten auf der Hintertreppe der Datscha Stiefel geputzt. Arkadi war acht; er trug Badehose und Sandalen. Sein Vater hatte das Hemd ausgezogen und ließ seine Hosenträger herunterhängen. »Stalin liebte Gangsterfilme und ganz besonders Tarzan. Ich war einmal im Kreml zu einem Abendessen mit einigen der mächtigsten Männer Russlands. Er ließ sie alle schreien wie Tarzan und sich auf die Brust trommeln.«
    »Hast du dir auch auf die Brust getrommelt?«, fragte Arkadi.
    »Am lautesten von allen.« Der General

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