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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Kameraden nicht erkannt haben sollten, auch wenn er ein Küchenbeil im Nacken hatte.
     
    Was von der Kommunistischen Partei noch übrig war, passte in ein zweistöckiges graues Stuckgebäude abseits des Zwetnoy-Boulevards, dem Zirkus gegenüber. Im Erdgeschoss war eine Pförtnertheke mit einem grauhaarigen Wachmann. Ein Korridor führte zu Lagerräumen mit Handzetteln und Versandmaterial. Im ersten Stock befand sich die Parteizentrale: Büros, Schreibzimmer, Besprechungsraum und überall Mäntel, hastig aufgehängt, und Stiefel, übereinandergeworfen in der Eile, zum Konferenztisch zu kommen, wo süßer Champagner ausgeschenkt wurde und Platten mit rotem Kaviar lockten, mit silbrigem Räucherfisch, mit Rückenspeck, so dünn, dass das Licht hindurchschien, mit Schwarzbrot und Scheiben von abgehangenem Pferdefleisch. An der Wand hing ein Porträtfoto von Lenin neben einer roten Sowjetflagge und einem Werbeplakat mit der fordernden Frage: »Wer hat Russland gestohlen?«
    »Wie in alten Zeiten«, sagte Platonow. »Die Schweine am Trog.« Er türmte Würstchen auf eine Broschüre mit dem Titel »Marx - Häufig gestellte Fragen«. »Wollen Sie auch ein paar?«
    »Nein, danke.«
    Arkadi hatte den Homo sowjeticus in dieser Konzentration schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Angeblich ausgestorben, waren sie hier - unverändert mit ihren schlechten Anzügen, stumpfen Augen und der wichtigtuerisch gerunzelten Stirn. Diese Bäuche hatten sich nie eine Mahlzeit entgehen lassen. Er sah keinen von den alten Männern, die in der bitteren Kälte auf dem Roten Platz gegen ihre miserablen Renten demonstrierten.
    Arkadi zog sich auf den Flur zurück. »Ich gehe dann. Hier bei Ihren Freunden sind Sie in Sicherheit.«
    »Bei diesen Schnorrern und Kretins? Die Gescheiten, meine wahren Freunde, haben die Partei schon vor Jahren verlassen. Die hier sind das, was übrig ist - nichts als dumme Ratten, die auf dem sinkenden Schiff Wein saufen.«
    »Warum sind Sie nicht ausgetreten?«
    »Ich war ein Sohn der Revolution, also ein uneheliches Kind. Bin hinter einem Regiment hergezockelt - dabei bin ich zum Schachspielen gekommen -, und als Hitler und seine Banden in Russland einfielen, habe ich mich freiwillig zum Militär gemeldet. Da war ich vierzehn. In meiner ersten Schlacht haben von zweitausend Mann nur fünfundzwanzig überlebt. Ich habe den ganzen Krieg überlebt, und dann habe ich die Sowjetunion vierzig Jahre lang im Schach vertreten. Ich bin zu alt, um noch aus meiner Haut heraus zu können. Bleiben Sie hier, und essen Sie, damit ich jemanden habe, mit dem ich reden kann.«
    »Ich treffe mich mit einem Kollegen zum Abendessen.« Falls das die richtige Beschreibung dafür war, mit Viktor etwas zu trinken, dachte Arkadi. Und sich danach mit dem Journalisten Ginsberg zu treffen, um sich eine Liste der Schwarzen Barette geben zu lassen, die mit Isakow in Tschetschenien gedient hatten.
    Arkadi machte ein paar Nachzüglern Platz. Unter ihnen war Tanja, die Harfenistin aus dem Metropol. Sie trug dasselbe weiße Abendkleid, und mit ihrem goldenen Haar sah sie aus wie eine Gestalt aus dem Märchen. Mit einer geflüsterten Entschuldigung zwängte sie sich an ihm vorbei - ganz und gar nicht die verwegene Skiläuferin, die das Foto bei Cupido aus ihr gemacht hatte.
    »Sie kommen zurück?«, fragte Platonow. »Der Abend wird nicht lange dauern; ich muss morgen auf Draht sein.«
    »Unser Großmeister Ilja Sergejewitsch geht auf ein Schachturnier und gewährt dem Sieger die Ehre, gegen ihn zu spielen.« Ein rundlicher kleiner Mann erschien hüpfend neben Platonow. »Es wird im Fernsehen übertragen, nicht wahr?«
    »Es wird aufgezeichnet. Aufgezeichnet und verbrannt, hoffe ich«, sagte Platonow.
    »Surkow. Propagandachef.« Der Mann reichte Arkadi eine feuchte Hand. »Wer Sie sind, weiß ich. Sie brauchen hier nicht vorgestellt zu werden.«
    »Einer der Kretins, von denen ich gesprochen habe«, informierte Platonow.
    »Der Großmeister ist eins unserer berühmtesten und angesehensten Mitglieder«, sagte Surkow. »Ein Bindeglied zur Vergangenheit. Immer einen Scherz auf den Lippen. Tatsache ist, wir sind heutzutage eine ganz andere Partei. Modernisiert, offen, anpassungsbereit.«
    »Seit wir auf den Müll geflogen sind«, brummte Platonow. »Sehen Sie, solche Reden sind eigentlich nicht besonders hilfreich«, rief Surkow, als Arkadi schon davonging. »Wir müssen positiv sein. Wir geben den Menschen eine Wahl.«
    Arkadi bedauerte nur, dass Tanja weg

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