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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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richtete sich auf, blökte und schlug sich dabei mit den Fäusten auf die Brust. Köpfe erschienen in den Fenstern ringsum, und das versetzte ihn in ungewöhnlich gute Laune. »Vielleicht werde ich dir in meinem Testament doch etwas hinterlassen. Willst du nicht wissen, was?«
    »Doch, sicher.«
    »In den Stabsbesprechungen zeichnete Stalin Wölfe, immer und immer wieder. Ich habe einen aus dem Papierkorb gefischt, und eines Tages kann diese Zeichnung dir gehören. Du siehst nicht eben begeistert aus.«
    »Ich bin’s aber. Hört sich gut an.«
    Sein Vater musterte ihn von oben bis unten. »Du bist zu dünn. Sieh zu, dass du ein bisschen Fleisch auf die Rippen kriegst.« Er kniff Arkadi so fest ins Ohr, dass dem die Tränen kamen. »Sei ein Mann.«
    »Spencer Tracy und Clark Gable«, sagte Surkow jetzt, »das waren Stalins Lieblingsschauspieler. Und Charlie Chaplin. Stalin hatte einen wunderbaren Sinn für Humor. Seine Kritiker behaupten, Stalin sei ein Feind der kreativen Künstler gewesen. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.
    Schriftsteller, Komponisten, Regisseure überschwemmten ihn mit Fragen nach seinem Urteil. >Bitte lesen Sie mein Manuskript, Genosse Stalin.< und: >Schauen Sie sich mein Gemälde an, geliebter Genosse.< Und seine Analyse traf immer ins Schwarze.«
    »Aber Küssen kam nicht in Frage«, sagte Tanja. »Sowjetische Filme wie Fröhliche Jungs oder Wolga, Wolga brauchten keinen Sex.« Surkow versuchte, nach ihrer Hand zu greifen, und verfehlte sie. Er wandte sich an Arkadi. »Das war die Glanzzeit Ihres Vaters, nicht wahr? Großmeister Platonow hat uns alles über Sie erzählt. Leute wie Sie geben sich neutral oder unentschieden, aber wie der Großmeister bezeugen kann, haben Sie keine Angst zu handeln. Gewisse Kreise hetzen gegen Stalin, weil sie wollen, dass Russland auseinander bricht. Er ist das Symbol, das sie attackieren, weil er die Sowjetunion erbaut, das faschistische Deutschland besiegt und aus einem armen Land eine Supermacht gemacht hat. Zugegeben, ein paar Unschuldige haben leiden müssen, aber Russland hat die Welt gerettet. Jetzt müssen wir Russland retten.«
    »Sie sehen, wie empörend es ist, dass die Russischen Patrioten Stalin für sich reklamieren«, sagte Platonow. »Stalin ist und bleibt der Unsere. Meinen Sie nicht, wenn er in der Moskauer Metro auferstehen wollte, würde er uns das wissen lassen?«
    Das alles wurde Arkadi ein bisschen zu viel. »Wir müssen gehen.«
    »Ziehen Sie die Jacke aus, und bleiben Sie ein Weilchen«, sagte Tanja. »Lassen Sie mich mit diesen Kadavern nicht allein.«

»Nach der ganzen Mühe, die ich hatte, Sie durch die Sicherheitskontrolle zu bringen?«, sagte Surkow und wandte sich an Arkadi. »Sie hat versucht, eine Rolle Stahldraht unter dem Mantel hereinzuschmuggeln.«
    »Saiten für meine Harfe.«
    »Tanja spielt Harfe im Metropol«, sagte Arkadi. »Ich habe sie dort gesehen. Aber ich weiß nie, wo sie als Nächstes auftaucht.«
    »Stahlsaiten? », fragte Platonow.
    »Die halten länger als Schafsdarm », sagte sie. »Und sie sind billiger als Silber oder Gold.«
    »Bevor Sie gehen«, sagte Surkow, »möchte ich Ihnen sagen, dass ich ein großer Bewunderer der Feldzüge General Renkos war und niemals etwas auf diese Gerüchte gegeben habe. Krieg ist furchtbar, aber kein sowjetischer General hat die Ohren seiner Feinde gesammelt.«
    »Sie waren gedörrt und auf Schnüre gezogen wie Aprikosen«, sagte Arkadi. »Er hat sie von den Piloten mit Leuchtkugeln über den deutschen Linien abwerfen lassen. Wenn man ein Junge aus Berlin ist und die erste Nacht im Schützengraben verbringt und wenn dann Ohren vom Himmel fallen, dann ist man vielleicht am nächsten Morgen nicht mehr da.«
    »Sie haben sie gesehen?«
    »Er hat Souvenirs mit nach Hause gebracht.«
    »Na ja, die Hauptsache ist, dass er heimgekehrt ist, und Gott weiß, was er da draußen an der Front sehen musste. Aber da Sie der sind, der Sie sind, habe ich etwas, das Ihnen vielleicht gefällt. Etwas ganz Besonderes.«
    Der Propagandachef stellte ein Grammophon auf seinen Schreibtisch, schwarz emailliert und mit filzbezogenem Plattenteller. Tonarm und Schalltrichter waren mit silbernen Arabesken verziert. Aus einer Plattenhülle ohne Titel, Text oder Interpretenangaben ließ er eine steife, schwere 78er Schallplatte gleiten. Er fasste sie mit den Fingerspitzen am Rand und ließ sie auf die Spindel sinken.
    »Auf dem Label steht nichts«, stellte Arkadi fest.
    »Eine einmalige

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