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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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schwanden. Als Drittes krampfartige Zuckungen, Erschlaffen und Resignation. Arkadi war mitten in der zweiten Phase. Er stemmte einen Fuß gegen den Kopierer und stieß sich zurück. Der Draht lockerte sich für einen Augenblick, Arkadi schlug ihr mit dem Hinterkopf ins Gesicht und hörte Knochen knacken.
    Anschwellender Applaus. Laute Rufe. »Schlagt sie, schlagt sie wieder und wieder!«
    Der Boden war jetzt glitschig von Blut. Arkadi bekam eins ihrer Handgelenke zu fassen und konnte die Schlinge so weit lockern, dass er kurz nach Luft schnappen konnte. Er warf sich zurück und presste sie gegen ein Regal. Eine Kaskade von Glühbirnen, Plakatkarton, Markern und Scheren prasselte herunter. Tanja ließ den Draht los und fing eine Schere aus der Luft.
    Donnernder Applaus. Lautstarke Forderungen. »Zertretet sie wie Ungeziefer!«
    Sie stach nach seinem Hals, aber die Schere drang nicht durch den hochgeschlagenen Kragen. Tanja holte aus, um ihm die Schere ins Auge zu stoßen, doch er blockte ihren Arm ab und warf sie rücklings auf den Arbeitstisch. Sie landete mit erhobener Schere auf der Papierschneidemaschine. Er packte ihr Handgelenk und drückte ihre Hand fest auf die Anschlagkante, während er mit der anderen Hand die guillotinenartige Klinge hochklappte.
    Hysterischer Applaus. Alle waren aufgesprungen und schrien sich heiser, sie schüttelten die Fäuste und klatschten dann wieder in die glühenden Hände.
    Er könnte ihr das Handgelenk durchtrennen. Quer durch die Handfläche schneiden. Durch die mittleren Fingerknöchel. Vielleicht würden bei einer Harfenistin auch die Fingerspitzen genügen.
    Arkadi merkte, dass er wieder klarer denken konnte. Er sah das Blut, das aus Tanjas gebrochener Nase strömte, sah ihre ausgestreckte Hand und wie sie die Zuschneideklinge anstarrte.
     
     »Schluss jetzt«, sagte er. Seine Stimme war nicht mehr als ein Krächzen.
    Sie ließ die Schere fallen, rutschte zu Boden und zitterte, als fröre sie, während er ihr die Hände mit einer Verlängerungsschnur auf den Rücken fesselte.
    »Mein Gott!« Surkow stand in der Tür. Er knipste das Licht an, und eine blutrote Szene strahlte auf. »Was ist hier passiert? Habt ihr ein Schwein geschlachtet?«
    Regale, Papier, der umgestürzte Kopierer lagen in einem Brei aus Blut und Glasscherben. Tanja lehnte an einem Drucker, die gespreizten Beine ausgestreckt unter ihrem blutverschmierten Kleid. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt, um den Blutstrom zu stoppen.
    »Meine Handzettel!« Surkow versuchte, ein blutgetränktes Blatt mit »Häufig gestellten Fragen« von einem anderen zu trennen. »Sind Sie verrückt geworden, Renko? Was haben Sie mit Tanja gemacht?«
    Arkadi tat der Hals zu weh, um irgendwelche Worte an Surkow zu verschwenden. In der Hoffnung auf ein Adressbuch breitete er den Inhalt von Tanjas Handtasche auf dem Arbeitstisch aus: Zigaretten, Feuerzeug, Haustürschlüssel, Portemonnaie, Metrokarte, Mitgliedskarten eines Fitnessclubs, eines Clubs für ausländische Filme und eines Internetcafes, ein Konservatoriumsausweis, ein Heiligenkalender der Kirche des Erlösers und ein Ausweis für Tatjana Stepanowna Schedrina, einer Unschuldigen, die keiner Fliege etwas zuleide tat. Er betrachtete das einzige Foto, das sie bei sich hatte, als Scheinwerferstrahlen durch den Hof strichen. Arkadi stürzte hinaus, aber er konnte nur noch einen kurzen Blick auf einen blauen oder schwarzen Sportwagen werfen. Natürlich hatte ein Fluchtfahrzeug auf sie gewartet; daran hätte er gedacht, wenn er nicht seine ganze Aufmerksamkeit auf das Foto gerichtet hätte. Es war das gleiche Bild von Tanja, das er vergrößert in dem Album bei Cupido gesehen hatte. Die gleiche Schneeprinzessin auf dem gleichen schwarz karierten Hang. Aber die Agentur hatte nur das halbe Bild gehabt. Auf dem Foto aus Tanjas Tasche war auch ihr Skipartner zu sehen: ein Mann mit gewölbter Brust in einem draufgängerisch roten Anzug. Trotz der Überraschung, die einen befällt, wenn man ein vertrautes Gesicht in einer unvertrauten Umgebung entdeckt, hatte Arkadi keine Mühe, Inspektor Marat Urman zu erkennen.
    Arkadi schaute hinauf zu den Schneeflocken, die quer durch das Licht der Straßenlaterne trieben, und knöpfte die Jacke auf, um die Kälte heranzulassen. Später würde jede Drehung des Kopfes qualvolle Schmerzen bereiten.
    Im Augenblick war Betäubung gut.
     
    Elf
    Um fünf Uhr morgens brachte man einen Tisch und Stühle in einen Kellerraum in der Petrowka-Straße. Die

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