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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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über den Schachclub reden lassen.«
    »Das wäre eine packende Fernsehsendung geworden.« Viktor stampfte mit den Füßen, um sich zu wärmen. »Oh, seht mal. Da muss tatsächlich jemand arbeiten. Der Sicherheitsdienst am Eingang hat Schneeschaufeln bekommen. Eine unstandesgemäße Arbeit. Wie traurig.«
    Arkadi konnte nur flüstern. »Wie gut ist Schenja?«, fragte er Platonow.
    »Sie haben’s gesehen.«
    »Wirklich?«
    »Kompliziert. »
    »Wenn man vom Teufel spricht«, sagte Viktor.
    Schenja kam aus dem Goldenen Khan. Ein Mann zerrte ihn an den Wachleuten vorbei, die sich über ihre Schaufeln beugten und den beiden nur einen flüchtigen Blick zuwarfen. Aus fünfzig Metern Entfernung konnte Arkadi sehen, dass die eine Seite von Schenjas Gesicht dunkelrot war. Der Mann trug einen Arbeitskittel aus Segeltuch, der nicht zu seiner Anzughose und den spitzen Schuhen passte.
    Hier stimmte etwas nicht. Schenjas Gesicht fing an zu schwellen, und das eine Auge wurde zu einem Schlitz. Arkadi hatte ihn noch nie weinen sehen. Es war kaum zu glauben, dass niemand am Eingang gefragt hatte, was los war. Auf halbem Weg zu Arkadi griff der Mann in eine Mülltonne, nahm ein schmutziges Geschirrtuch heraus und wickelte einen Revolver aus. Überall auf dem Parkplatz standen Masten mit Überwachungskameras; irgendjemand musste es sehen. Viktor und Platonow blieben bei Arkadi stehen.
    Der Mann hatte ein schmales Gesicht, eine lange Nase und strähniges blondes Haar. Genau so würde Schenja aussehen, wenn er erwachsen war, erkannte Arkadi. Es war der verschwundene Vater, Lysenko Pere. Die Augen des Mannes waren anders; sie sahen angesengt aus, als hätte er zu lange in die Sonne geschaut, und aus der Nähe ver strömte sein Arbeitskittel einen beißenden Teergeruch. Es war der Teermann, der Vorarbeiter der Straßenbaukolonne, die seit einer Woche ihre fruchtlose Arbeit auf der Straße vor Arkadis Haus verrichtete. Schenja versuchte sich loszureißen, und der Mann schüttelte ihn wie eine Gans, die er beim Hals gepackt hielt.
    Der Teermann schrie Arkadi an: »Er hat den Scheck zerrissen. Er hat mich gesehen und die Partie aufgegeben, und als sie ihm den Scheck gaben, hat er ihn zerrissen. Ein Teil dieser tausend Dollar gehört mir. Ich bin derjenige, der es ihm beigebracht hat.«
    »Dann steht Ihnen das Geld zu. Fifty-fifty?« Arkadi blieb freundlich. Er wollte verhandeln, bevor allzu viel Hilfe zusammenströmte.
    »Fünfhundert Dollar, jetzt sofort.«
    »Geben Sie mir die Waffe.« Es war ein antiker Nagant, wie Georgi einen hatte.
    »Erst das Geld.«
    »Erst die Waffe«, beharrte Arkadi. »Um das Geld zu holen, müssen wir zur Bank.«
    »Ich brauche es sofort.«
    Dann braucht er es sofort, dachte Arkadi. Er hörte Rufe aus dem Casino. Schenja mitten in einer Auseinandersetzung zwischen einem Irren und schwer bewaffneten Wachleuten das war das Letzte, was er gebrauchen konnte.
    »Wir lassen den Jungen hier, und wir beide gehen zusammen zur Bank. Ich werde für Sie bürgen.«
    »Ich weiß, wer Sie sind. Sie haben ihn bei sich versteckt.« Versteckt? Arkadi hatte geglaubt, Schenja suche seinen Vater. Aber dieser Frage wollte er jetzt nicht weiter nachgehen. »Sie und ich holen das Geld, und dann trinken wir einen Wodka.« Arkadi kam einen Schritt näher.
    »Ich hab ein Jahr lang gesucht.«
    »Zuerst geben Sie mir die Waffe, denn die Wachleute kommen, und Sie wissen, wie sie reagieren werden, wenn sie sehen, wie Sie damit herumfuchteln.« Arkadi streckte die Hand aus. »Sie wollen doch nicht vor Ihrem Sohn niedergeschossen werden.«
    »Vor einem Sohn, der seinem Vater wegläuft?«
    »Es funktioniert nicht«, sagte Viktor.
    Schenjas Vater hielt Arkadi den Revolver an den Kopf. Die Mündung kitzelte sein Haar.
    Platonow versuchte sich so klein wie möglich zu machen, vielleicht so klein wie ein Atom. Das war der Unterschied, dachte Arkadi, zwischen Schach und Wirklichkeit. Keine Revanche. Der Verkehr rauschte blind vorüber. Sein Wagen, nur zwei Meter weit entfernt, war nicht nah genug, um als Deckung zu dienen. Viktors Hand schlängelte sich in Zeitlupe zu seinem Pistolenhalfter.
    »Geben Sie mir die Waffe.«
    »Das ist doch Blödsinn«, sagte Schenjas Vater nach kurzem Überlegen und drückte ab.
    Was Arkadi fühlte, war eine kreisförmige Welle auf einem See, die sich unglaublich schnell ausdehnte, weiter, weiter und immer weiter.
     
    Dreizehn
    Das Hirn ist intakt, aber es blutet. Massiv. Wir können das Blut ableiten, aber wir können

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