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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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sich wie ein Kosak mit einem Säbel.
    »Du wirst mir zu schwer.« Sein Vater setzte ihn ab; sie waren wieder bei der Steppdecke, wo sie mit Arkadis Mutter und Below belegte Brote aßen. Die Erwachsenen tranken Champagner, er bekam Limonade. Überall auf dem Rasen lagen Decken, und man hörte das Stimmengewirr von Offizieren und ihren Familien. Niemand sah so stattlich aus wie Arkadis Vater in seiner maßgeschneiderten Uniform mit den Sternen auf den Schulterklappen oder so schön wie seine junge Frau, Arkadis Mutter. In ihrem weißen Spitzenkleid und mit schwarzen Haaren bis zu den Hüften war sie von einer traumartigen Aura umgeben.
    »Weißt du, woran du mich erinnerst?«, fragte Arkadis Vater seine Mutter. »Während des Krieges habe ich ein paar Tage an einem belanglosen Ort verbracht, wo es eine wunderschöne Sage über einen See gab, an dem alle Schwäne sich versammeln. Es ist ein See, den nur die wahrhaft Unschuldigen finden können, und deshalb hat ihn schon seit Jahrhunderten niemand mehr gesehen. Aber du bist mein Schwan, mein erlösender Schwan.« Er beugte sich über die Decke, um sich einen Kuss geben zu lassen, und wandte sich dann an Arkadi.
    »Wie alt bist du jetzt, Arkascha?«
    »Nächsten Monat werde ich sieben.«
    »Weil du fast sieben bist, habe ich ein vorzeitiges Geburtstagsgeschenk für dich.« Der General gab Arkadi eine lederne Schatulle.
    »Kyril«, sagte seine Mutter, »du verwöhnst ihn.«
    »Na ja, wenn er mein Leibwächter sein soll … »
    Der Geruch von Waffenöl verriet Arkadi, was für ein Geschenk es war, bevor er die Schatulle öffnete. Aber es war noch besser als erwartet: ein Revolver, klein genug für seine Hände.
    »Ihr seid mir ein Paar«, sagte seine Mutter.
    »Eine Damenwaffe für den Anfang«, sagte sein Vater. »Keine Angst, wenn du gewachsen bist, bekommst du eine größere. Probier sie aus. »
    Arkadi zielte auf einen kleinen braunen Vögel, der trillernd auf einem Pfosten saß.
    »Ein Fink ist der Chor Gottes«, sagte seine Mutter. Der Vogel explodierte in einer Federwolke.
    »Ist er tot?« Arkadi war erschrocken.
    »In zwölf Stunden wissen wir mehr«, sagte sein Vater.
    »Ich mache einen Spaziergang.« Seine Mutter stand auf. »Ich werde Schmetterlinge jagen.«
    »Ich muss hier den Gastgeber spielen«, sagte sein Vater. »Ich kann nicht mitkommen.«
    »Arkascha wird auf mich aufpassen. Ohne den Revolver.« Arkadi und seine Mutter gingen an Hortensiensträuchern mit kugelrunden rosafarbenen Blütenbüscheln vorbei. Sein Schmetterlingsnetz war ein Gewehr, mit dem er amerikanische Agenten erschoss, die aus den Büschen sprangen. Seine Mutter ging geistesabwesend und mit gesenktem Blick neben ihm und lächelte über etwas, das nur sie hören konnte.
    Als sie am Fluss angekommen waren, sagte sie: »Lass uns Steine sammeln.«
     
    18:22 - ICP: 18 mm Hg, RR: 160 / 80, PR: 75
    »Was bedeutet das?«
    »Darf ich die Karte des Patienten zurückhaben? RR ist der Blutdruck, PR ist die Pulsrate, und ICP ist der Schädelinnendruck. Normal ist ein ICP von maximal fünfzehn Millimetern Quecksilbersäule. Eine Schädigung liegt ab zwanzig Millimetern vor, und ein Druck von mehr als fünfundzwanzig ist tödlich. Sind Sie ein Verwandter?«
    »Ein Kollege. Ich war dabei, als auf ihn geschossen wurde. Ich dachte, er sei tot.«
    »Die Kugel hat den Schädel durchschlagen, aber nicht die Hirnhaut. Ich weiß nicht, warum.«
    »Die Ballistiker sagen, die Waffe ist so alt, dass sie noch aus dem Krieg stammen könnte, und die Munition darin ebenfalls. Schießpulver zersetzt sich. Eine so alte Patrone bringt die Kugel vielleicht gerade noch aus dem Lauf. Als ich das hörte, dachte ich, Renko spaziert in ein, zwei Tagen hier wieder hinaus. Dann bin ich hergekommen, und … »
    »Sie dürfen hier nicht rauchen.«
    »Entschuldigung. Ich bin hergekommen, und da hängt er am Beatmungsgerät, hat eine Kanüle 1m Arm und lauter Schläuche im Kopf.«
    »Sein Gehirn blutet und schwillt an.«
    »Wird er überleben?«
    » In zwölf Stunden wissen wir mehr.«
    »Sie wollen ihn zwölf Stunden lang nicht versorgen?«
    » Er wird ständig überwacht und beobachtet. Er kann von Glück sagen, dass er noch lebt. Wegen des Wetters fehlt die Hälfte des Personals. Als er eingeliefert wurde, musste ich eine Gruppe von Assistenzärzten zusammensuchen.«
    » Assistenzärzte? »
    »Einen Tubus durch eine derart zerquetschte Luftröhre zu bringen, war keine Kleinigkeit. Trinken dürfen Sie hier auch nicht. Stecken Sie

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