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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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nähern. Und darum haben wir sie niemals hereinkommen und unsere elektronischen Geräte sehen lassen - bis heute, als sie meinen Sohn herein trugen, weil er von Ameisen gebissen wurde.«
    »Es tut mir leid«, sagte Arkadi.
    »Bist du dir über die Konsequenzen im Klaren? Man könnte mir das Kommando entziehen. Du hättest eine Mine hochgehen lassen und sterben können.«
    Ein Gecko war ihm in die Quere gekommen. Er hatte den Lenker verrissen, ohne nachzudenken, das Hinterrad war nach vorn gerutscht, und er war über den Lenker und mit dem Gesicht voran in den sandigen Hügel einer Ameisenkolonie geflogen.
    »Weißt du, was Stalin groß gemacht hat?«, fragte sein Vater. »Stalin war groß, weil er, als die Deutschen während des Krieges seinen Sohn Jakow gefangen nahmen und einen Austausch vorschlugen, einfach ablehnte, obwohl er wusste, dass diese Ablehnung für seinen Sohn das Todesurteil bedeutete.« Der General zog an seiner Zigarette, und die Glut strahlte auf wie eine Leuchtkugel. Trotz der Ameisenbisse überkam Arkadi ein Frösteln. »Tabak glüht mit neunhundert Grad Celsius. Die Haut weiß das. Ich stelle dich also vor die Wahl: deine Haut oder ihre.«
    »Wessen?«
    »Ich rede von den Männern, die dich hereingebracht haben, von deinen einheimischen Freunden. Sie sind noch hier.«
    »Meine Haut. »
    »Falsche Antwort.« Sein Vater zog zwei Fotos aus der Hemdtasche und reichte sie Arkadi. Jedes zeigte einen der Brüder, barhäuptig und nackt bis zur Taille, ein blutiger Haufen. »Sie würden es nicht mehr spüren.«
     
     
    Neunzehn
    Die Sonne ging unter, und das Dorf war ein Bild der einschlafenden Zivilisation: Eine Handvoll Kotten, die Hälfte davon verlassen, eine Stromleitung und die Kuppel einer Kirche. Eine Frau schlurfte unter einem Tragjoch mit zwei Wassereimern dahin. Eine rauchfarbene Katze folgte ihr. Die alte Frau verscheuchte sie, und die Katze huschte über die Straße und schlüpfte zwischen Stapel von Metall und Transportbändern aus Gummi und Berge von Kotflügeln und Reifen. Arkadi fuhr mit seinem Schiguli neben ihr her, bis die Katze sich unter einem geschlossenen Tor hindurch in eine Autowerkstatt zwängte.
    Arkadi hatte den ganzen Tag damit verbracht, nach dem richtigen Wagen zu suchen, nach einem Wagen mit einem Nummernschild aus Twer und einer so tristen Farbe, dass er jede Aufmerksamkeit von sich ablenkte. Er hatte sich Wolgas, Ladas, Nivas in allen Schattierungen und mit vielfältigen Beulen angesehen, und aus irgend einem Grund war keiner davon der Richtige gewesen.
    Als sein Klopfen unbeantwortet blieb, öffnete Arkadi die Werkstatttür und trat ein. Sofort blinzelte er im Licht eines Schweißbrenners. Eine Gestalt in Lederweste und Schutzbrille schweißte etwas, das aussah wie ein Benzintank, umgeben von den Flaschenzügen und Ketten, Schraubstöcken und Arbeitstischen einer Werkstatt. Namenlose Gegenstände unter Segeltuchplanen wechselten ihre Form im gleißenden Licht. Die Katze sprang auf ein Regal mit Sturzhelmen und schlug mit der Pfote nach den sprühenden Funken.
    »Rudenko?« Arkadi musste schreien. »Rudi Rudenko?«
    Der Schweißer drehte die Flamme herunter und klappte die Schutzbrille hoch. »Ja. Was gibt’s?«
    »Ist hier die Werkstatt Rudenko?«
    »Und?«
    »Haben Sie gebrauchte Autos?«
    »Nein. Das hier ist eine Motorradwerkstatt. Machen Sie die Tür zu, wenn Sie gehen. Danke. Einen beschissenen Tag noch.«
    Arkadi wandte sich zur Tür. Dann blieb er stehen. Auf der Fahrt von Twer hierher hatte er den Rückspiegel im Auge behalten, um zu sehen, ob man ihm folgte, und er konnte eine kurze Beschreibung jedes Wagens abgeben, der in seine Nähe gekommen war. Bis zu seiner Begegnung mit der Motorradbande hatte er Motorräder ignoriert, sie buchstäblich ausgeblendet. Vor allem kleine Motorräder wirkten belanglos wie Mücken.
    »Sind Sie immer noch da?«, fragte Rudenko. »Haben Sie Motorräder zu verkaufen?«
    »Erst wollen Sie ein Auto, dann wollen Sie ein Motorrad. Wie wär’s mit einer verdammten Katze? Ich hätte eine.«
    »Haben Sie Motorräder?«
    »Auf einem meiner Motorräder kann ich Sie mir nicht vorstellen. Das wäre, wie wenn ein alter Mann eine schöne Frau besteigt. Ich hab zu tun.«
    » Ich kann warten.«
    »Ich hab kein Wartezimmer.«
    » Dann warte ich im Wagen.«
    »In dem da?« Der Schweißer schaute zur Tür hinaus.
    Er stellte das Schweißgerät ab und nahm die Maske herunter. Ein roter Pferdeschwanz kam zum Vorschein. Arkadi verlor den Mut.

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