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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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sagte Arkadi.
    »Nennen Sie ihn den Großen Rudi«, sagte Rudi. »Er war mal größer.«
    »Gibt keinen Grund für Förmlichkeiten zwischen alten Kameraden.« Rudis Großvater entdeckte einen lockeren Zahn im Totenschädel, einen braunen Backenzahn, und zog ihn aus dem Kieferknochen. »Ich habe das nie verstanden. Die Deutschen waren so große, stramme Kerle, und sie hatten so schlechte Zähne.«
    »Wo haben Sie den her?«, fragte Arkadi.
    »Von überall. Glauben Sie mir, es gibt nichts Schlimmeres, als mit Zahnschmerzen zu kämpfen. Ich habe mir selbst mal einen Zahn gezogen.« Er steckte den Zahn in die Tasche. »Keine Sorge, Rudi, ich hebe die Schaufeln wieder auf. Hast du meine Brille?«
    »Die hast du vor zehn Jahren verloren.«
    »Sie muss hier irgendwo sein.«
    »Gaga«, sagte Rudi zu Arkadi. »Er lebt in der Vergangenheit.«
    Arkadi half dem alten Mann, die Schaufeln wieder aufzustellen. Dazwischen war ein selbst gebastelter Metalldetektor mit einer Induktionsspule und einer runden Ziffernanzeige. Als Rudi auf der Suche nach den Verkaufsunterlagen Schubladen aufriss und zuknallte, rutschte seine Weste hoch. Hinten in seiner Jeans steckte eine Pistole.
    Die Katze sprang auf ein Regal mit Nazi-Helmen; manche waren unversehrt, andere hatten ein Loch. Auf einer Werkbank stand ein Metallkanister mit einer deutschen Gebrauchsanweisung: der Sprengkopf einer Handgranate vom Typ »Kartoffelstampfer« . Die vernebelten Augen einer uralten Gasmaske spähten aus einem Schrank. An einem Haken hing ein Tarnhemd mit dem Schulteremblem - Stern, Helm und Rose -, das Arkadi auf der Kundgebung in Twer gesehen hatte.
    »Waren Sie heute auf der Kundgebung?«, fragte er Rudi. »Bei Isakow? Das ist ein dreckiger Faschist.«
    »Er scheint populär zu sein.«
    »Er ist trotzdem ein dreckiger Faschist.«
    »Ich bin Stalin begegnet«, sagte Rudis Großvater.
    Arkadi brauchte eine Sekunde, um sich auf einen so massiven Themenwechsel einzustellen. Möglich war es, dachte Arkadi. Der Große Rudi war alt genug.
    »Wann?«, fragte er.
    »Heute.«
    »Wo?«
    »Hinten auf dem Hügel. Schauen Sie aus dem Fenster, er ist noch da.«
    Durch das Fenster fiel genug Licht nach draußen, um zu sehen, dass da kein Stalin und kein Hügel war.
    »Ich war nicht schnell genug. Er ist weg. Hat er etwas gesagt?«, fragte Arkadi.
    »Wir sollen zur Ausgrabung gehen.« Der alte Knabe geriet in Aufregung. »Kommen Sie morgen mit uns. Stalin wird dort sein.«
    »Isakowauch?«
    »Vielleicht. Egal », sagte Rudi. »Sie sind kein Ausgräber. Das ist nur für Mitglieder.«
    »Warum?«
    »Erstens, weil Sie im Weg wären. Zweitens, da Sie keine Ahnung haben, was Sie tun, könnten Sie verletzt werden oder jemand anderen verletzen. Drittens, es ist gegen die Regeln. Viertens, es kommt überhaupt nicht in Frage. Wieso fragen Sie überhaupt? Was glauben Sie, was Sie da sehen werden?«
    Das wusste Arkadi nicht. Zeichen? Vielleicht Offenbarungen?
     
    »Das Ungeheuer hat nicht nur ein faschistisches Flugzeug vom Himmel geholt«, sagte Schenja. »Vor Jahrhunderten kam es aus dem Brosno-See und verjagte die eindringenden Mongolen. Jetzt müssen die Wissenschaftler herausfinden, ob es noch dasselbe Ungeheuer oder ein Nachkomme ist. Darum geht es bei der Expedition. Sie haben ein Bild von ihm - ein Foto, keine Zeichnung. Ich hab es im Fernsehen gesehen.«
    Arkadi legte das Handy ans andere Ohr; wenn Schenja aufgeregt war, wurde seine Stimme schrill. Noch nie hatte ihn etwas so aufgeregt wie das Ungeheuer im Brosno-See.
    »Wie sah es aus?«, fragte Arkadi.
    »Es war ein bisschen verschwommen. Konnte eine Form des Brontosaurus sein. Auf jeden Fall - die Wissenschaftler sind mit Spezialgeräten auf den See hinausgefahren und haben unter Wasser etwas wirklich Merkwürdiges entdeckt.«
    »Und was haben sie getan?«
    » Eine Granate draufgeworfen. »
    »Das hätte wohl jeder Wissenschaftler getan.« Arkadi schaute aus dem Fenster der Wohnung zu den Dächern von Twer hinaus. Er sah Kirchen, aber keine Zwiebeltürme, die der Stadt einen anmutigen oder märchenhaften Anblick verliehen hätten. Andererseits war er froh, dass das örtliche Ungeheuer den sonst buchstäblich stummen Schenja in eine Quasselstrippe verwandelt hatte. »Und was hat das Ungeheuer da getan?«
    »Nichts. Es ist entkommen. Wäre toll gewesen, wenn es das Boot verschlungen hätte. »
    »Und das wäre ein Beweis gewesen.«
    »Davon würde ich gern ein Video sehen«, sagte Schenja. »Würden wir das nicht

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