Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
Vom Netzwerk:
mitgeben darf, und schon gar nichts aus estnischer Zeit, und sowieso kein Geld, Medaillen, Edelmetalle oder Literatur. Ob der servile Mann wohl gut dafür bezahlt würde, wenn er Katariinas Verlobten beim Zoll auflaufen ließe, wonach der kein Visum mehr bekäme, oder ob er sich einfach nur eine Feder am Hut, einen höheren Posten in der Partei, eine bessere Arbeitsstelle erhoffte? Was hätte der KGB davon, wenn Katariinas Verlobter in Schwierigkeiten geriete?
    Ich werde mich nicht in eure Dienste begeben. Darauf spekuliert ihr vergebens.
    Der Mann redet immer weiter über die Medaillen und ihre Geschichte, obwohl Katariina sich bemüht, das Gespräch auf andere Themen zu lenken, über diese Dinge möchte sie mit keinem Fremden sprechen und auch nicht mit einem Bekannten, aber der Mann redet einfach weiter. Ein estnischer Offizier, der in der deutschen Armee gedient hatte, wollte alle Abzeichen loswerden, die verrieten, dass er zur Estnischen Legion gehört hatte, und die seinen militärischen Rang dokumentierten. Der Mann hatte August geheißen. Er hatte sich bei seiner Mutter in einer schmalen Kammer zwischen zwei Zimmern, in die ein Mann gerade hineinpasste, versteckt gehalten. August hatte seine Mutter gebeten, die Medaillen zu vernichten, aber die Mutter hatte ihre Tochter Anette, Augusts Schwester, beauftragt, sie zu verstecken. Anettes Mann Konstantin war jedoch ein echter Kommunist und beschloss, wegen der Sache Anzeige zu erstatten, nachdem er die Medaillen kurz gesehen und Anette streng nach deren Ursprung befragt hatte. August war als verschwunden gemeldet worden, aber wenn plötzlich seine Medaillen auftauchten, konnte August auf keinen Fall verschwunden oder tot sein. Er konnte sehr wohl im Land und noch dazu sehr lebendig sein! Das Faschistenschwein! Schützt seine Frau einen Volksfeind dieser Kategorie? Das ist doch Landesverrat. Und was macht man mit solchen Menschen? Anette versucht verzweifelt, mit Konstantin zu kokettieren, jedoch vergebens. Nach so einem Verbrechen kann Konstantin Anette nicht schützen. Anette könne sich nur dadurch retten, dass sie beweist, eine gute sowjetische Bürgerin zu sein, indem sie erzählt, wo August sich aufhält. Dann würde es auch nicht nötig sein, Anettes Mutter mit der Sache zu behelligen. Und bilde dir nicht ein, dass du die Kinder in den Zug nach Sibirien mitnehmen darfst. Du fährst dorthin, und wir bleiben hier. Meine Kinder brauchen keine Handlangerin eines Faschistenschweins als Mutter.
    Anette erzählte nichts, gab nichts zu.
    Trotzdem fand der Sicherheitsdienst August.
    Der servile Mann muss über Katariinas Onkel August sprechen. Augusts Schwester hieß Anette und hatte einen Mann, der Kommunist war. Und für August war ein Versteck im Haus seiner Mutter gebaut worden.

ZUERST
ZOG
IRENE von der typisch finnischen in die größte Stadt Finnlands. Und ich zwei Jahre später hinterher. In die Stadt, von deren Ufern die Schiffe nach Tallinn ablegen. In die Stadt, von der aus wir immer nach Tallinn fuhren und die wir immer als Erste erreichten, wenn wir aus Tallinn zurückkehrten. In die Vorstadt von Annas Welt, in den Stadtteil Kallio und mitten unter die Huren von Kallio, langsame Hurenschritte neben der Fahrbahn, Männer, die sich vor meiner finnischen Antwort ebenso sehr erschreckten wie seinerzeit die in Estland.
    Zum ersten Mal war das im Hafen von Tallinn passiert, als ich elf war. Ich stand in der Taxischlange und wartete auf Mutter, als sich ein finnischer Mann mir näherte, und ich wusste, wusste schon, bevor der Mann neben mir ankam, bevor er etwas gefragt hatte, ich wusste, was er annahm.
    Ach, wir sind Finnen?
    Der Mann erschrak, wurde rot und ging fort.
    Und dasselbe wieder, zehn Jahre später in Kallio. Der einzige Unterschied bestand darin, dass ich nicht mehr so viel mit Mutter unterwegs war wie damals, und man hielt Mutter nicht für meine Zuhälterin. Sonst alles genauso, die Männer, die Manieren, der Glanz der Augen, das Erschrecken, das diesen Glanz auslöscht.
    Sie sprechen ja Finnisch wie eine Finnin, sodass Sie wohl eine sind? Macht nichts, alles okay, alles okay.
    Und dann trollt er sich, scheinbar entspannt. Auf demSchiff glaubten sie, dass ich kein Finnisch verstehe, und tauschten sich neben mir laut über ihre Erfahrungen mit den Huren von Tallinn aus. Ebenso im Hotel Viru. Dann verstummten sie erschrocken, wenn Mutter kam und ich mit ihr finnisch sprach.
    Bei jenem ersten Mal trug ich ein schwarzes, kurzärmliges und knappes

Weitere Kostenlose Bücher