S.T.A.L.K.E.R. 01 - Todeszone
Waldspitze angelangt, strebte David einem kleinen Birkenhain entgegen, der auf halbem Weg zu dem verlassenen Werk lag. Unterwegs warnte er zweimal vor verborgenen Gravitationsfallen. Nach einer kurzen Rast zwischen den Birken ging es weiter.
Diesmal stoppte er schon nach zwanzig Metern. Er verharrte kurz, hob witternd die Nase in die Luft und massierte seine Schläfen, als habe er stechenden Kopfschmerz.
„Alles in Ordnung?", fragte Major Marinin.
Statt zu antworten zog David einen alten Militärkompass aus dem Anorak, klappte ihn auf und streckte ihn vorsichtig in Hüfthöhe aus. „Eine neue Mine", erklärte er schließlich. „Vor einer Woche lag die noch nicht hier."
Marinin kam näher und sah von hinten auf den Kompass. Sicher, die Magnetnadel zitterte ein wenig, aber konnte das nicht ebenso gut an einer unruhigen Hand liegen? Er selbst mochte daraus jedenfalls kein nahes Gravitationsfeld ableiten.
„Ist das Geheimnis?", fragte er. „Das Zittern der Nadel?"
„Nein."David schüttelte den Kopf. „Der Kompass dient nur zur Kontrolle."
Weiter ging er nicht auf seine Fähigkeiten ein, sondern übernahm wieder wortlos die Führung. Nach zwei weiteren Schlenkern erreichten sie einen verrosteten Maschendrahtzaun, der das alte Werksgelände von den umliegenden Wiesen abgrenzte.
David sah auf seine Uhr und hatte es plötzlich eilig. „Weiter hinten gibt es eine heruntergetretene Stelle", sagte er und deutete mit der Rechten die Betonpfähle entlang. „Dort können wir problemlos eindringen."
Das Gewehr am langen Arm rannte er voraus.
Nach einem Blick auf die eigene Uhr, zog Major Marinin ebenfalls das Tempo an. Verdammt, sie waren tatsächlich schon fast eine ganze Stunde unterwegs!
Die Zaunlücke empfing sie mit offenen, spitz nach oben ragenden Metallenden. Marinin blieb prompt am linken Hosenbein hängen und musste mit beiden Armen rudern, um die Balance zu halten. Ratschend gab der Stoff unter der Belastung nach. Um ein Loch in der Hose reicher folgte er David in eine alte Baracke, die einmal als Aufenthaltsraum für Gärtner oder Arbeiter gedient haben mochte.
Das mit Altöl gestrichene Holz troff längst vor Feuchtigkeit und sonderte einen unangenehmen Modergeruch ab. Efeu rankte an den Wänden empor, nicht nur außen, auch innen, denn dem löchrigen Boden entwuchsen zahlreiche Pflanzen, die Richtung Decke strebten.
Als sie eintraten, huschten einige drahtige Schatten unter leisem Quieken davon. Ratten!
Dicke, wohlgenährte schwarze Biester, die größeren von ihnen bis zu eineinhalb Meter lang.
Schweigend suchten sich David und Marinin ein halbwegs trockenes Plätzchen und harrten nebeneinander aus. Auf dem Dach klebten noch Eisschollen, die unter der Sonneneinwirkung schmolzen. Durch eine undichte Stelle drang Schmelzwasser ein. In regelmäßigen Abständen bildeten sich dicke Tropfen an der Decke, die in einer nahen Pfütze niedergingen. Schon nach kurzer Zeit zerrte das Platschen an Marinins Nerven, sodass er beinahe erleichtert aufatmete, als es von lautem Hubschrauberlärm übertönt wurde.
Die Mi-24-Patrouille hielt direkt auf das alte Betonwerk zu und begann darüber zu kreisen. Marinins Herz schlug schneller, obwohl er sich vor Augen führte, dass die großen Hallen gewiss ein fester Beobachtungspunkt waren.
„Gelobt seien die leeren Kassen unserer Regierung", sagte er lachend, um seine Nervosität zu überspielen. „Wenn es mehr Kampfhubschrauber mit Wärmebildkameras gäbe, wären wir jetzt erledigt."
David lächelte spöttisch. „Glauben Sie ernsthaft, dass die mangelhafte Ausrüstung am knappen Etat liegt?"
„Woran sonst?"Der Hubschrauber drehte ab und entfernte sich Richtung Norden.
„Sie müssten doch selbst am besten wissen, dass hochrangige Politiker ihre Hand schützend über das Kraftwerk halten." Die Augen des Jungen begannen böse zu flackern. „Sonst wären die Blöcke schon längst gestürmt und das Personal ausgetauscht worden."
Marinin hob die rechte Augenbraue. „Du glaubst ernsthaft an eine weitreichende Verschwörung?"
„Falsch."David stand auf und blickte durch das glaslose Fenster hinauf zum Himmel. „Ich weiß, es diese Verschwörung gibt."
Statt seine Behauptung mit Argumenten zu untermauern, trat er ins Freie. Der Rotorlärm der Mi-24 verebbte bereits jenseits des Werks.
„Wir haben jetzt zwei Stunden Ruhe", erklärte David. „Das sollte reichen, um das Gelände nach Spuren abzusuchen."
Mit zusammengekniffenen Augen spähte er zu der großen
Weitere Kostenlose Bücher