Starke Frau, was nun?
nächste unangenehme Erleuchtung einbringt, und sie betrachtet ihn rasch. »Nein! Nicht deshalb!«
Bevor er reagieren kann, ist sie aus dem Bett gesprungen, und während sie im Raum umherstürzt und ihre Klamotten einsammelt, spricht sie hektisch und meidet tunlichst seinen Blick. »Dieser verdammte Ami will doch heute auf seinen beschissenen Weihnachtsmarkt gehen.« Aus den Augenwinkeln sieht sie, wie Robert das Bett verlässt und sich gegen den Türrahmen lehnt.
Als sie schließlich nicht länger vermeiden kann, ihn anzuschauen, resümiert sie, dass sie selten etwas Alberneres erlebt hat. Nicht Robert speziell, sondern die Männer im Allgemeinen, wenn sie nackt sind. Und sie dankt ganz schnell dem Schicksal dafür, dass sie nicht als Pseudomensch geboren wurde, dem so ein Ding zwischen den Beinen herumbaumelt.
Ehrlich!
Eilig zieht sie sich an; aus der Dusche wird nichts – es ist zu spät. Doch als sie gehen will, wird sie mit seinem jämmerlichen Gesichtsausdruck konfrontiert und schleicht seufzend zurück. Es soll nur ein flüchtiger Kuss werden, aber Robert scheint heute über sich hinauszuwachsen. Denn er presst sie an sich und küsst sie wild und hemmungslos. Vielleicht will er ihr beweisen, dass sich eine Ehe mit ihm echt lohnt oder so.
Ach du Scheiße! Dieser Tag artet immer mehr zu einer Katastrophe aus.
Irgendwann schiebt sie ihn sanft, aber bestimmt von sich. »Lass mich das überdenken, okay?«
Seine kurzsichtigen Pupillen leuchten hinter den leicht beschlagenen Gläsern auf – schon ist die Hoffnungslosigkeit aus ihnen verschwunden. »Okay«, nickt er gemächlich und Lisa atmet auf.
Gerettet!
* * *
Eine Viertelstunde später sitzt sie auf ihrem Rad und verflucht den Tag, dämliche Chauvis und die Jahreszeit an sich ein weiteres Mal. Keine Halluzination – es schneit tatsächlich, und sie befindet sich auf dem verdammt beschwerlichen Weg zum Alexanderplatz. Dieser verkappte Ami wollte sich mit ihr am Sender treffen, doch Lisa hat ihm auf ihre unnachahmliche Weise erklärt, dass das schon mal komplett ausfällt. »Ich setze mich in kein stinkendes Auto! Schon gar nicht in einen getunten Macho-BMW!«
Die Antwort war selbstverständlich das übliche dreckige Grinsen.
Ihre Radtour in die Stadtmitte artet bald zur ausgemachten Folter aus. Zum ersten Mal bereut sie, die Fingerkuppen von ihren Handschuhen entfernt zu haben. Damit kann sie zwar bestens ihre Meinung kundtun, wenn sie gerade nicht zu sprechen in der Lage ist, doch im Winter gibt es etliche Risiken: zum Beispiel, dass ihr die Finger abfrieren.
Es müssen derzeit mindestens zwanzig Grad unter null sein, wenn nicht dreißig. Logisch, wenn der Idiot einen Besuch auf dem Weihnachtsmarkt plant, bricht prompt der russische Winter aus.
Und als wäre das nicht schon genug Grauen, muss das Ganze auch noch an einem Samstag stattfinden! Bedeutet: Lisa darf sich durch den Shoppingverkehr in die Innenstadt kämpfen. Hierbei handelt es sich nicht etwa um die übliche Völkerwanderung, die jeden Samstag pünktlich nach dem Mittagessen einsetzt, weil jedem Knilch aus den mickrigen Dörfern vor Berlin plötzlich einfällt, dass er genau jetzt dringend zu dem einzig verfügbaren Techniksupercenter (ha!) in der Stadt fahren muss, um sich das neueste Scheißhandy zu kaufen.
Nein, Weihnachten steht schließlich vor der Tür. Nur noch zwei Wochen und dann ist es endlich so weit, weshalb die Leute dringend mal ein bisschen konsumieren müssen. Selbst die Gehwege sind so verstopft, als würde es Einhunderteuroscheine regnen – Himmel und Menschen sind unterwegs. Darunter übrigens etliche uniformierte Streifen in Blau
Verdammt!
Hinzu kommt, dass der Schneefall mit jeder Minute zunimmt und der Wind nachzieht. Und das ist ein verdammt eisiger Wind, aber hallo!
Lisa knirscht mit den Zähnen und plant zum wiederholten Mal die Ermordung dieses verdammten Deutschlandtouristen! Das ist eigentlich ihr freier Tag! Was Chris natürlich nicht im Geringsten interessiert! »Wir gehen auf den Weihnachtsmarkt! Was bitte hat das mit Arbeit zu tun?«
Endlich, nach fünf Ewigkeiten, erreicht sie den Alex und bleibt wie vom Donner gerührt stehen. Das Grauen hat einen Namen: Weihnachtszeit! (Und Chris Scout, aber das nur nebenbei.)
Da niemand sonst auf eine derartig abwegige Idee kommen würde, sind sie selbstverständlich an der Weltzeituhr verabredet. Eine Viertelstunde benötigt Lisa, um sich trotz des Gewirrs aus dunkel gekleideten Menschen, die sich hier alle
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