Starke Frau, was nun?
fühlt, wir treffen uns um halb zehn Unter den Linden . Ihr könnt es nicht verpassen. Dort, wo sich – hoffentlich – halb Berlin eingefunden hat.«
Chris lacht. »Morgen früh gehen die Leute einkaufen oder putzen ihre Appartements. Ich glaube nicht ...«
»Mag sein. Ist alles eine Frage der Prioritäten. Ich bin jedenfalls dort.«
Mit gespitzten Lippen und verengten Augen mustert er sie eine Weile. »Okay ...«, meint er schließlich. »Hier mein Vorschlag: Wir demonstrieren vormittags gegen die Banken und am Nachmittag fahren wir zum Müggelsee. Ist das ein Deal?«
»NEIN!«
Er lehnt sich weit über das Pult. »Doch!«
* * *
Zwei Stunden später holpert Lisa mit ihrem Rad durch die nächtliche Frühlingsnacht; es ist Ende April, aber sie schätzt, ein nicht trainierter Südeuropäer würde das gut und gern auch als spätwinterlich durchgehen lassen, denn es ist immer noch arschkalt. Selten hat sie die elenden Halb-Nachtschichten derart gehasst wie in den vergangenen Wochen.
Kann denn nicht endlich Sommer werden?
Robert empfängt sie mit dem üblichen Strahlen. Das hält sich so lange, bis er Lisas unwirsche Miene ausmacht. »Was ist los?«
»Kalt!«
»Yeah.«
Als er ihren strafenden Blick wahrnimmt, verbessert er sich rasch: »Sicher«, und nimmt ihr die Jacke ab. »Was noch?«
Sie lässt sich auf die Couch fallen und schließt die Augen. »Alles!«
Irgendwann nimmt das anhaltende Schweigen bedrohliche Formen an und sie reißt die Lider auf. »Du nicht!«, meint sie eilig und etwas entnervt, doch Robert ist beruhigt und umarmt sie überschwänglich. »Lass die böse, verräterische Welt dort draußen, Ba ... Liebling. Ich bin hier, du bist hier, in zwei Monaten heiraten wir, was wollen wir mehr?«
Lisa verzieht das Gesicht, doch dann lächelt sie. Ein wenig.
Dennoch, als sie sich nur wenige Stunden später unausgeschlafen und mit reichlich mieser Laune auf den Weg macht, fühlt sie sich äußerst mulmig. Am vergangenen Abend hat sie noch versucht, den Verrückten von dessen wahnsinnigem Plan abzubringen, aber es wäre nicht Chris gewesen, hätte der ihr auch nur zugehört.
»Glaubst du ehrlich, ihr habt die Protestbewegung für euch gepachtet?« Er lehnte sich zurück, das barbarische Grinsen immer vor Ort. »Wenn du mich fragst, geht das jeden etwas an. Ich will auch kämpfen!«
Na klasse!
Und natürlich: Wie an jedem Samstag sind auch heute wieder die Straßen hoffnungslos verstopft. Die Lämmer befinden sich auf dem Weg zum wöchentlichen Besuch beim Technikmarkt (Geiz ist schließlich geil!). Obwohl, das war ein anderer. Egal! Lisa runzelt die Stirn. Alles eine Suppe! Außerdem überlegt sie, wie sie den Tag überleben soll, ohne zu sterben.
Wirklich, sie hat keine Ahnung.
Heute sind unglaublich viele Beamte unterwegs und niemand interessiert sich für die junge Frau, die quer über den Alexanderplatz radelt, kurz darauf den Fernsehturm passiert und wenig später die Spree überquert. Inzwischen hat sie erkannt, dass wohl doch nicht alles zum High-Tech-Center unterwegs ist. Himmel und Massen bewegen sich in Richtung Brandenburger Tor .
Lisa, die hauptberuflich Moderatorin einer frauenfeindlichen Sendung und nebenberuflich Kundgebungsteilnehmerin ist, bleibt in Höhe der Humboldt Uni stehen und betrachtet das verdächtige Treiben mit offenem Mund.
Familien mit Kindern (sind die wahnsinnig?) , alte Leutchen, Studenten, sogar etliche Typen, die Yuppies und deren aufgemotzten Weibchen nicht unähnlich sehen – alles bewegt sich ausschließlich in eine Richtung.
Und ihre ganz besonderen Freunde: Die Mädels und Jungs von der Berliner Polizei haben sich offensichtlich Verstärkung aus dem Umland herangeholt, denn sie bilden ein dichtes Spalier am Straßenrand und betrachten die zukünftigen Demonstranten mit unlesbaren Mienen, weil die nämlich unter den dichten Helmen nicht zu erkennen sind. Offenbar rechnet man mit Ausschreitungen.
Blödsinn!, denkt Lisa wieder. Wir wollen doch nur ein bisschen demonstrieren.
Das Menschenaufgebot, das an diesem Ort in der Form sonst nur an Silvester zu verzeichnen ist, lenkt sie sogar von ihren Überlebenssorgen ab. Irgendwann radelt sie weiter, sieht jedoch bald ein, dass sie mit dem Rad keine Chance hat, und deponiert Dolly an einem der Ständer vor den unzähligen Cafés. Die haben verdächtigerweise trotz des Sonnenscheins ausnahmslos geschlossen.
Mit einigen Schwierigkeiten macht Lisa die Frauen ausfindig, obwohl sie sich an einem zuvor
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