Starke Frauen
man leben kann. »Wieso kannst du nicht so sein wie andere Kinder?«, fragt sie vorwurfsvoll.
Selbstvertrauen holt sich das Kind bei ihrem Großvater Karl Gröhn, in dessen Schrebergartenlaube sie während der Ferien nackt herumtobt, umgeben von Hunden und Ziegen, Obstbäumen und Badeteich. »Keiner fand mich hübsch, außer Großvater«, heißt es lakonisch. Als der Ersatzvater Selbstmord begeht: »Ich habe ihn mehr geliebt als irgendeinen Menschen in meinem Leben, außer meiner Tochter.« »Mit 16 sagte ich: Ich will! Will groß sein, will siegen, will froh sein, nie lügen«, heißt es in einem ihrer Songs. Und: »Ich lernte mich durchzubeißen, allein und ohne Mutter.« Mitten im Zweiten Weltkrieg wird in Babelsberg eine Gegenwelt zum Dritten Reich auf Laufband produziert: 1943 entstehen 110 Filme, 1944 immerhin noch 64. 1939 gab es 624 Millionen Kinobesucher, 1941 892 Millionen und 1943 1,1 Milliarden. Das Kino, für den Propagandaminister Joseph Goebbels ein Instrument der Manipulation, boomt.
Nachdem sie mit 15 die mittlere Reife schafft, schickt sie das Arbeitsamt 1942 in die Trickfilmabteilung der UFA in Berlin-Mitte. Sie tritt die Lehre an, aber man holt das »deutsche Mädchen« – blond, blaue Augen, gut gewachsen – bald vor die Kamera. Und sie hat Talent – mehr als erlaubt. Mit fast allem, was sie künftig anfasst, schafft sie es an die Spitze. Meistens als Erste. Und oft zu früh für Deutschland.
Hildes erste »Bekanntschaft« ist Ewald von Demandowsky, UFA-Produktionschef und Goebbels-Vertrauter. Dass er älter und verheiratet ist, stört unter Künstlern weniger. Mit ihm flüchtet sie – als Mann verkleidet – aus dem umkämpften Berlin und landet im russischen Gefangenenlager. Ein polnischer Arzt hilft ihr, zu fliehen. »Ich habe immer nur gelernt, zu überleben, nie, zu leben«, wird sie später sagen. Als am 3. November 1945 das Berliner Schlossparktheater eröffnet wird, steht Hildegard Knef – stellvertretend für alle »Trümmerfrauen«, diemit Kopftuch und Flickenkleid zu Ikonen dieser Epoche wurden – als Erste auf der Bühne und rezitiert Goethes Prolog »Der Anfang ist in allen Sachen schwer«.
1946 spielt sie im ersten deutschen Film der Nachkriegszeit Die Mörder sind unter uns . Fünf Millionen Zuschauer, begeisterte Kritiken.
Ihre spröde Direktheit ohne erhobenen Zeigefinger, die spürbare Verletzlichkeit, getarnt durch Wortwitz, und die souveräne Selbstironie, gefärbt mit einem Quäntchen Demut, werden ihr Markenzeichen.
Schon kommt der Ruf aus Hollywood: David O. Selznick, der Produzent von Vom Winde verweht , bekundet Interesse. Sie sagt Ja, will es aufnehmen mit den Bigs der Branche, als sich Deutschland noch duckte ob seiner Nazi-Schuld. Henri Nannen hebt Hilde auf das Titelblatt des ersten Stern vom 1. August 1948. Er ist fasziniert von ihrem »intellektuellen Sex« und will sich ihretwegen sogar scheiden lassen.
Ende 1947 heiratet die Knef den US-Soldaten Kurt Hirsch, wohl wissend, dass ein »Ami-Flittchen« als der Gegenpol der tüchtigen, züchtigen Trümmerfrau angesehen wird. Und als sie mit ihm Anfang 1948 nach New York zieht, begeht sie einen Tabubruch, den ihr die Deutschen lange nicht verzeihen: »Damit war ich Ausländerin in Deutschland.« Sie paukt Englisch und nimmt vier Kilo ab – aber sie hat keinen Job.
In Hollywood herrscht antikommunistische Hysterie. Filmleute, die sich in den Augen von Senator McCarthy verdächtig verhalten, werden entlassen.
Hilde kehrt zurück nach Deutschland, um 1950 den Film zu drehen, der ihr Leben verändert: Die Sünderin . Sie zeigt sich nackt. Acht Sekunden. Steht Modell einem Maler, der erblindet. Also geht sie »anschaffen«, um eine Operation zu finanzieren. Als die erfolglos bleibt, begeht das Paar Selbstmord. Prostitution, Sterbehilfe: eine Zumutung. Die Deutschen, die selbst noch schwer an ihren Sünden tragen, wollen keine »Sünderin« sehen, sondern das »Schwarzwaldmädel«. Bischöfe rufen zum Filmboykott auf, Gäste verlassen das Restaurant, wenn sie hereinkommt, es gibt Morddrohungen. Der Film wird verboten, die Knef geächtet.
1953 ist Hilde einmal mehr die Erste: Sie macht Werbung für Nylonstrümpfe. Bislang begnügte man sich mit Zeichnungen, da realeFrauenkörper in Dessous als »schamlos« gelten. Sie zeigt sich mit hochgezogenem Rock, lässig telefonierend. Auf Hass folgt Häme. Sie flieht zurück nach Amerika.
Dort ist sie der erste deutsche Star, der in einem Broadway-Musical eine
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