Starke Frauen
allzu weinerlich werde, bezahle ich ein paar Rechnungen. Das schafft einen klaren Kopf.« Am 2. November 1962 ehelicht die 64-jährige Lotte den 37-jährigen Maler Russell Detwiler: »Er sah so süß aus, so fürsorglich, so jugendhaft.« Sie wäscht seine Wäsche, zahlt seine Rechnungen, aber ihre Fürsorge fördert auch seine Schwäche. Obwohl sie alles tut, damit seine Karriere – und somit auch ihre Ehe – funktioniert: Am siebten Hochzeitstag springt Russel, kaum 45-jährig, aus seinem Atelierfenster.
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»Es ist nicht leicht, mit mir verheiratet zu sein«
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Der erfolgreiche Dokumentarfilmer Richard Siemanowski, seit 9. Juni 1971 Gatte Nummer vier, wird bald nach der Trauung wegen Alkoholmissbrauch in eine Klinik eingewiesen und gibt als seinen nächsten »Verwandten« seinen Geliebten an. Das Einzige, was sie wohl je zusammen taten, war Kartenspielen. Sie lässt sich nach zwei Jahren scheiden (er stirbt mit 55).
Während Lotte privat von einer Katastrophe in die nächste schlittert, gelingt ihr beruflich alles. Sie gibt Liederabende, nimmt Schallplatten auf, dreht Filme. Da bekommt sie zwar »nur« Nebenrollen, schafft es aber immer wieder, die Protagonisten an die Wand zu spielen. Für ihren Auftritt in der 1961 gedrehten Komödie Der römische Frühling der Mrs. Stone erhält sie eine Oscar-Nominierung. Ihre Rolle einer russischen Sado-Maso-Offizierin im James-Bond-Film Liebesgrüße aus Moskau (1963) bleibt unvergessen.
New York, 20. November 1966. Uraufführung des Musicals Cabaret . Die Story spielt im Berlin der 1930er-Jahre. Als Fräulein Schneider: Lotte Lenya. Sie ist 68, wiegt 45 Kilo, aber ihre nie versiegende Energie lässt sie jünger wirken. Sie singt vier grimmig-schmissige Songs, darunter »So what?«, mit so viel Intensität und Herzblut, dass die Kritiker in ihr die unbeugsame, mitfühlende »deutsche Frau« an sich, ein atmendes Symbol Deutschlands entdecken. Das »Linnerl« ist ein Idol geworden.
Obwohl – oder gerade weil – sie niemals um Sympathie unter Hinweis auf ihr Unglück buhlt und in allen Kulturwelten und Lebensphasen ihre Integrität bewahrt. »Für die jungen Leute bin ich so etwas wie eine Legende geworden. Warum, das weiß ich nicht. Ich habe keine Ahnung, worin mein Geheimnis liegt.« Außerdem ist sie beeindruckend reich. Aber auch krank (man diagnostiziert Krebs) und Single: »Ich habe meine Pflicht getan. Ich bin frei wie ein Vogel«, sagt sie in einem Interview zu ihrem 80. Geburtstag. Ihr Haar ist weiß – zum ersten Mal in ihrem Leben.
Am 23. Februar 1981 lässt sich Lotte von einem Chirurgen die Brüste verschönern. Die Freunde sind schockiert: wie überflüssig! Lotte winkt ab, erklärt: »Ich ertrage meinen Körper einfach nicht länger, ich kann mich selbst nicht mehr sehen, wenn ich in der Badewanne liege.« Nun beginnt das Warten auf den Tod: »Ich bin und bleibe Optimist.
Ich liebe das Leben und ich glaube ans Überleben.« Sie nimmt keine Betäubungspillen, will bei Bewusstsein bleiben. Lässt sich ihre Fingernägel frisch lackieren: knallrot. Am 27. November 1981 hört man sie die Namen ihrer Toten flüstern: Kurt, George ..., auch die ihrer Mutter und ihres Vaters. Als würde sie alle bei einem Wiedersehen begrüßen. Um sechs Uhr abends lächelt Lotte und stirbt.
Als Kind nennt man die Prinzessin »junger Husch«, und sie ist eine miserable Schülerin. Nur am Pianoforte und beim Singen kann sie punkten. Sie sei, heißt es, zu eigensinnig, ein Enfant terrible – aber ihre Heiterkeit verzaubert jeden, der sie kennenlernt. Schlechte Laune? Hat sie nie!
Aufgewachsen ist sie zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Friederike im Darmstädter Palais ihrer Großmutter. »Babuschka« nennen die Mädchen ihre Oma. Diese ist es auch, welche die Kleinen mit ihrer Liebenswürdigkeit ansteckt und sie – in einer Zeit, in der Fürstenfamilien noch streng nach Etikette leben – in ungewöhnlicher Freiheit groß werden lässt. Die Prinzessinnen müssen zwar oft die geflickten Kleider der Älteren auftragen, aber das stört sie kaum – es gibt wenige Anlässe, für die man sich herausputzen muss: »Wir gehen in keine Gesellschaft, zu keinen Kurfürsten; wir nehmen an keinem Essen teil«, stellt die 16-jährige lebenshungrige »Husch« wehmütig fest.
Luise ist zwar eine Prinzessin, aber davon gibt es gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland mit seinen mehr als 1700 eigenständigen, oft winzigen Territorien reichlich. Die Aussicht auf ein
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