Starke Frauen
Kaiser vorbeireitet. Goethe, dem man das Spektakel beschrieb, als er ein Kind war, schildert in seiner Autobiografie, wie sie »in ein unendliches Lachen ausgebrochen« war und, »um ihren Gemahl zu begrüßen, das Schnupftuch geschwungen und ihm selbst ein lautes Vivat zugerufen« hat. Das Volk jubelt ihr zu.
Sie triumphiert, aber lehnt es ab, sich mit Franz Stephan zur Kaiserin krönen zu lassen. Sie will alles für ihn, nichts durch ihn. Sosehr sie ihn liebt, sie weiß doch genau zwischen Privatem und Politik zu unterscheiden, ist schneller, entschiedener, belastbarer als er. Franz sagt man einen Hang zur Bequemlichkeit und einen Mangel an Durchsetzungskraft nach.
Und noch etwas: Dieser prachtvolle Titel ist »leerer Schein« (Maria), mit keiner realen Macht verbunden. Dass sie jedoch auf ihn verzichtet, »lässt mein teutscher Patriotismus« nicht zu. Also bleibtder Kaiser Prinzgemahl einer Königin von Gottes Gnaden und sucht Ablenkung und Zerstreuung in seinen »Hobbys«: Er sammelt Münzen, malt und verwöhnt Burgschauspielerinnen (woraufhin die Kaiserin eine »Keuschheitskommission« ins Leben ruft, die zur Verbesserung der Sitten beitragen soll).
Als sie am 18. August 1765 erfährt, dass ihr Mann gestorben ist, ist sie fassungslos. Sie lehnt die zeremonielle Kondolenz durch den Hofstaat ab, verbietet den Damen aufs Strengste das Schminken. Befiehlt, dass man ihr die langen, noch nicht ergrauten Haare abschneidet. Verteilt ihre Kleider unter Kammerfrauen und den Schmuck unter ihren Töchtern. Trägt nur noch Schwarz, lebt nur noch für ihre Pflichten: »Ich vergesse alles. Um fünf Uhr früh stehe ich auf, lege mich spät zu Bett und tue den ganzen Tag lang nichts. Ich denke nicht einmal mehr. Meine Lage ist fürchterlich.« Nur solange er lebte, fühlte sie sich lebendig, wie sie auf einem Zettel festhält: »29 Jahre, 6 Monate, 6 Tage, macht also Jahre 29, Monate 335, Wochen 1540, Tage 10 781, Stunden 358 744.«
Eigentlich will sie ins Kloster. Aber eine »Fahnenflucht« kommt für eine Habsburgerin nicht infrage. Sie führt weiter Kriege, baut Schloss Schönbrunn, führt die Schulpflicht vom sechsten bis zum zwölften Lebensjahr ein, lässt Moorgebiete trockenlegen, um Arbeitslose zu beschäftigen, und auf ihren Krongütern die »Robot« (Zwangsarbeit der Leibeigenen) abschaffen, sie bringt als Erste in Mitteleuropa Papiergeld auf den Weg und modernisiert den Verwaltungsapparat. Und schließt 1779, an ihrem Geburtstag, Frieden mit Friedrich II.: »Ich habe heute glorios meine Karriere geendigt«, schreibt sie einem Minister. Vom Rheuma geplagt, lässt sie sich einen »Bauchladen« zum Umhängen bauen, um Akten im Freien abarbeiten zu können. Das Ding wackelt, sie macht einen Tintenfleck auf ein Staatsdokument und schreibt drunter: »Ich schäme mich dafür.«
Sie hat ihren Staat umgebaut. Sie schafft die »Geheime Konferenz« ab und erhöht Steuern (u. a. die Getränkesteuer), ohne die Untertanen zu ruinieren. Mühe über Mühe, Arbeit, immer nur Arbeit. Maria weiß um die Verantwortung ihrer Macht gegenüber. Aber bleibt dennoch bodenständig: Als Maria Josepha, eine ihrer Schwiegertöchter,an Blattern erkrankt, küsst sie sie, obwohl ihr das Risiko bewusst ist. Eine Woche später hat sie Blattern. Im ganzen Land werden Bittgottesdienste für ihr Leben gehalten. Sie lässt sich die Letzte Ölung geben – und überlebt.
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»Gott nicht getreu, was kann der Mensch von ihm erwarten? Bleibt auch der Segen aus«
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Sie arbeitet, obwohl schwer erkältet, noch an ihrem Todestag im Bett. Ihr Sorgenkind Joseph meint: »Majestät liegen sehr schlecht.« Sie erwidert: »Aber gut genug, um zu sterben.« Maria Theresia besteht ihr Sterben nicht weniger tapfer als ihr Leben. Am 29. November 1780 verlangt sie um fünf Uhr früh, wie gewohnt, ihren Morgenkaffee. Ausgetrunken hat sie ihn nicht mehr.
Unter Maria Theresias Ägide gewann die kalte Macht ein menschliches Gesicht. Dem Hergebrachten zugetan, war sie immer wieder bereit, Neues zu erlernen, Verkrustetes aufzubrechen. Und sie blieb in dieser Zeit des Umbruchs ein Garant der moralischen Stabilität. Ihre Völker jedenfalls scheinen etwas von ihrer unverwüstlichen Freundlichkeit, ja Heiterkeit, ihrem Lebensmut und ihrer Weltzutraulichkeit geerbt zu haben. Sie war eine Autokratin – und doch ein Mensch wie du und ich.
So liebenswert Maria Theresia als Mensch war, musste sie doch zahlreiche Kompromisse zwischen ihren Prinzipien und den Interessen des
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