Starke Frauen
was sie war: eine Hure. Ihre Haushälterin hört sie nachts beten. Der Nähkästchen-Käufer erinnert sich: »Ich sollte oft Geldbeträge an ihre angeblich bedürftigen Bekannten in Hamburg überweisen. 10 bis 20 Schnorrer waren das, denen ich Beträge zwischen 50 und 500 Euro überwies.« Bis das Geld alle ist: »Ich denke mit Ausdauer positiv«, sagt sie.
Zurück in Hamburg lebt Domenica seit 2008 in einer 50-Quadratmeter-Sozialwohnung: »Hauptsache, ich bin wieder zu Hause. Hier aufm Kiez bleibe ich jetzt für immer! Mein Rentnersitz.« Schwester Angelina stirbt in dieser Wohnung. Auch Mutter Anna: »Sie hat zu mir gesagt: ›Dass du Hure geworden bist, ist nicht schlimm. Aber dass du nichts gespart hast, das ist wirklich schlimm.‹«
Domenica raucht zwei Schachteln Zigaretten am Tag. Sie ruiniert ihre Bronchien und ignoriert, trotz Diabetes, ihren Insulinspiegel. 2009 stirbt sie mit 64 an einem Lungenleiden, ohne Groll: »Ich bereue überhaupt nichts.«
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»Ich war nie schön, ich war schlimmer«
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Freunde legen zusammen, um ein Sozialbegräbnis zu verhindern. Angeführt von einer Blaskapelle, die ihr Lieblingslied »La Paloma« spielt, ziehen 800 Trauergäste durch St. Pauli, die Prostituierten verhängen ihre Fenster mit schwarzen Tüchern. In der Herbertstraße setzt die Musik eine Weile aus. Die Aussegnung hält der Pastor der evangelischen St. Pauli Kirche, obwohl sie »streng katholisch« und »ziemlich fromm« war, Kirchenmusik liebte (wie auch Kaninchen, Mandelbäumchen und einsame Inseln) und als Äbtissin verkleidet ihre Biografie signierte. Nur mit dem Betenhaperte es, gestand sie und steckte lieber jenen Menschen, die sie mochte, Kastanien als Glückbringer in die Taschen.
Drei Wünsche, die offenblieben. Sie hätte gern einen Mann gehabt – »aber welcher Mann würde sich schon mit mir ins Restaurant setzen?«. Sie hätte gerne eine Tochter gehabt, selbst wenn sie Hure geworden wäre: »Ich würde versuchen, ihr beizustehen. Ich würde sie auf keinen Fall fallen lassen.« Und sie hätte »schon manchmal ganz gerne ein Vorbild gehabt. Dem Drewermann, dem würde ich gern folgen, mich an seine Seite stellen und ihm mithelfen, das würde mir gefallen.« Eugen Drewermann (70) war katholischer Priester, wurde aber vom Papst suspendiert, weil er die Praktiken der Kirche kritisiert hatte.
Es war ihr großer Busen, der sie berühmt machte: »Ich war nie schön, ich war schlimmer.« Ihr Herz aber war viel größer. Darum schrieb sie wohl Domenicas Kopfkissenbuch – einen Ratgeber für die Ehefrauen ihrer Freier. Sie bemühte sich, den verklemmten, verletzten oder wütenden »Anständigen« den Unterschied zwischen einem Bordellbesuch und einem Seitensprung klarzumachen, verriet Tricks im Umgang mit müden, zu schnellen, ungeschlachten Männern. Und gab den ultimativen Tipp: »Sie müssen lernen, sich selbst zu lieben.« Dann klappt’s auch im Ehebett.
PS: Die Museumskneipe »Domenica Lounge« in der Herbertstraße ist offen für alle: Nach Dekaden dürfen auch Frauen die sündige Meile wieder betreten.
Elisabeth ist eine höhere Tochter par excellence: intelligent, schön, reich. »Wenn seit vielen Generationen Geld selbstverständlich ist, dann interessiert man sich überhaupt nicht mehr dafür«, heißt es in ihren Erinnerungen . Und weiter: »Meine Eltern wussten nicht, was sie mit mir anfangen sollten, weil ich so intelligent war.« Wenn gelangweilt, treibt sich das Kind in Berliner Bars herum.
Der ratlose Vater, Jurist und Gründer der Tobis-Filmgesellschaft, sieht sich gezwungen, das Mädchen im berühmten Internat Salem unterzubringen. Dort am Bodensee angelangt, »hatte ich das sichere Gefühl, hier mein Leben zu verbringen«. Es wird mehr als das halbe Leben.
Aber erst einmal muss sie diese Schule nach einem halben Jahr, im Juli 1933, wegen »ungebührlichen Verhaltens« verlassen.
Glaubt man Elisabeths Erinnerungen , zieht sie als Studentin »den Führer« in ihren Bann: Sie besichtigt mit ihrer Gruppe »nationalsozialistischer Studentinnen« Hitlers Residenz auf dem Obersalzberg, »da stand auch schon Hitler und begrüßte uns mit Handschlag ... nahm mich am Arm und führte mich an die Brüstung ... (Am Tisch) saß ich direkt neben Hitler, und (wir) unterhielten uns sehr gut, ganz unaufgeregt und heiter.« Später erklärt Elisabeth, sie wäre »nie in Gefahr, mit den Nationalsozialisten zu sympathisieren, aber das Charisma Hitlers beeindruckte auch mich«. Schuldgefühle
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