Starke Frauen
empfindet sie nicht: »Ich war nie mit den Nazis verknüpft.«
Kurz: Elisabeth lebt im klaren Glauben, zu Höherem geboren zu sein (»Ich meine, ich sei vom Schicksal begünstigt«). Sie ist sicher, von Engeln beschützt zu werden: »Ich bin im Alter von fünf Jahren eines Nachts aufgewacht und mein Zimmer war gleißend hell erleuchtet ... Die Engel haben mich besucht.« Von diesem Selbstbewusstsein geprägt, wählt sie ihr Credo aus einem Gedicht des Barock-Lyrikers Paul Fleming: »Wer selbst sein Meister ist und sich beherrschen kann, dem ist die weite Welt und alles untertan.«
Elisabeth ist zehn, als sie beschließt, Journalistin zu werden, und darf eine ihrer ersten Geschichten, »Ein Mädchen wartet«, dem legendären Zeitungsverleger Heinz Ullstein (man kennt sich ja!) vorlegen. Er ermutigt sie, weiter zu schreiben, und das Mädchen hebt die Papierblätter auf – und wird bis ans Lebensende die unterschiedlichsten Dinge(die erste Schreibmaschine, ein Spielzeughäuschen aus einer Art Überraschungsei) aufbewahren, als müsste sie Zeugen ihres Auserwähltseins sammeln: »... habe ich heute noch«, betont sie immer, immer wieder in den Memoiren.
Nach Schulende gönnt sich die 23-Jährige eine Reise durch die USA, fährt nach Mexiko, Japan, Korea, in die Mandschurei, nach China, Sumatra, Ceylon, Ägypten. Dort hat sie eine »Vision. Plötzlich schien die Tempelwand vor mir in den Boden zu sinken. Ich gehörte gleichsam zu einer zeitlosen Atmosphäre.« Sie verliert »jegliche Todesfurcht« und wird »dadurch zu einem anderen Menschen«. (Mal wieder!)
Als Studentin der Zeitungswissenschaften verbringt Elisabeth 1937/38 ein Auslandsjahr an der School of Journalism in Missouri. Dort entdeckt sie eine neue Wissenschaft: die Demoskopie. Demoskopen erforschen die Meinung der Bevölkerung zu politischen, wirtschaftlichen, sozialen, ethischen und allen möglichen anderen Themen. Heute eine Selbstverständlichkeit, damals ein Novum. George Gallup, der die öffentliche Meinung als Machtfaktor erkannte und 1936 erstmals eine korrekte Wahlprognose für die Präsidentschaftswahl in den USA abgab, wurde zum begehrten Politikerberater.
Zurück in Deutschland schreibt Elisabeth Noelle 1939 ihre Dissertation über »Amerikanische Massenbefragung für Politik und Presse«. Die Lehrzeit in Amerika lohnt sich. Dass man mit den Massen rechnen muss, ist eine Idee, die auch in Nazi-Deutschland hoch im Kurs steht. Mit frischem Doktortitel wird Elisabeth 1940 Volontärin bei der Berliner Deutschen Allgemeinen Zeitung . Bald werden zwei Männer auf das Fräulein Doktor aufmerksam. Erich Peter Neumann, Redakteur der Wochenzeitung Das Reich . Er holt Elisabeth in seine Redaktion, sie werden ein Paar. 1940 kauft er ein Knallbonbon, in dem ein weißes Häuschen versteckt ist. Elisabeth »prophezeit«: »Das ist unser kleines weißes Haus nach dem Krieg am Bodensee.« Der zweite Mann ist Propagandaminister Joseph Goebbels, der im April 1942 anfragen lässt, ob sie bereit sei, seine Adjutantin zu werden. Die Entscheidung wird ihr durch »einen jener abenteuerlichen Zufälle ... die ich nur als Gotteswunder bezeichnen kann«, abgenommen: Sie wird krank (ein Nierenleiden, das erst Jahre später geheilt wird). Der brüskierte Goebbels sorgt für ihreEntlassung. Sie wechselt zur Frankfurter Zeitung , schreibt nach deren Schließung unter Pseudonym für Illustrierte.
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»Die Demoskopie kann schreiben, was sie will, sie ändert doch nichts an der Realität. Das glaubt mir niemand, aber so ist es«
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Nach Kriegsende heiratet sie Neumann, und das Schicksal führt dem Paar einen Herrn über den Weg, der tatsächlich ein weißes Haus am Bodensee besitzt, in Allensbach. Die beiden mieten es. Der Herr arbeitet als Übersetzer für die französische Besatzungsregierung, die in Erfahrung bringen will, wie es um die deutsche Jugend bestellt sei. Sein Chef liest gerade Elisabeths Dissertation und bittet seinen Übersetzer, herauszufinden, wo sich die Frau aufhalte: »Kein Problem«, antwortet dieser, »die wohnt bei mir zur Miete.« Nun soll Frau Noelle-Neumann im Auftrag der französischen Militärregierung Jugendumfragen organisieren. Für sie: »Ein Wunder.«
Am 8. Mai 1947 finden im Auftrag der französischen Militärregierung die ersten Interviews statt – »das war der Beginn des Instituts für Demoskopie in Allensbach«, der ersten Einrichtung ihrer Art in Europa. »Wir wurden ausgelacht«, berichtet die Gründerin später. Aber das legt
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