Starker als dein Tod
er in ihr ausgelöst hatte, zu verdrängen. Doch Emily war immer aufrichtig mit sich selbst gewesen, und Zacks Kuss hatte sie auf eine Art und Weise berührt, wie es kein anderer Kuss in ihrem bisherigen Leben vermocht hatte. Was für eine Frau genoss es, von einem Häftling geküsst zu werden?
Wie der Vater, so die Tochter …
Den größten Teil ihres Erwachsenenlebens hatte sie ihren Vater für das gehasst, was er getan hatte. Dafür, dass er der Schwäche nachgegeben und die Uniform entehrt hatte, die er trug. Dafür, dass er sich und seine Familie erniedrigt hatte. War sie wie Adam Monroe?
„Sieht so aus, als hättest du ganz schön viel Blut verloren.“
Zacks Stimme riss sie aus den schmerzhaften Erinnerungen. Emily blickte ihn an und sah, dass er das Einschussloch in ihrem Mantel befühlte. Offenbar hatte sich der Stoff mit Blut vollgesogen.
„Ich werde jetzt deinen Ärmel hochrollen und mir das mal anschauen, okay?“, fragte er.
Sie nickte, verzog aber dennoch das Gesicht, sobald er sie berührte.
„Tut das weh?“ Seine Finger streiften ihren Arm, als er den Hemdsärmel hochkrempelte.
„Was meinst du?“ Ihr Magen rebellierte bei dem Bild, das sich ihr bot: aufgerissene Haut, verklumptes Blut.
„Es ist nicht allzu schlimm“, erwiderte Zack.
„Das sagst du nur, weil es nicht dein Arm ist.“
„Das sage ich, weil es ein Streifschuss ist. Die Wunde hat stark geblutet, was ein gutes Zeichen ist. Du bist verletzt, doch es ist nicht allzu viel Gewebe beschädigt. Es ist nur eine Fleischwunde.“
„Du hörst dich an, als ob du aus Erfahrung sprechen würdest.“
Er hielt immer noch ihren Arm fest, während er ihr in die Augen schaute. „Vielleicht tue ich das ja.“
Er tauchte ein kleines Handtuch in den Plastikbehälter mit Wasser und betupfte die Wunde. Weil Emily den Anblick der Verletzung nicht ertragen konnte, betrachtete sie seine Hände. Sie konnte nicht umhin zu bemerken, dass sie unglaublich sanft waren.
Mit Handtuch, Wasser und Seife säuberte er die Wunde. Obwohl der kleinste Druck schmerzte, versuchte Emily nicht zu stöhnen. „Tut mir leid“, sagte er. „Ich muss nur sicherstellen, dass keine Fremdkörper in der Wunde sind, die später zu einer Entzündung führen könnten.“
Sie wünschte, er würde sich nicht dafür entschuldigen, dass er ihr wehtun musste. Bei Häftlingen ging man nicht davon aus, dass sie nett waren. Oder gar sensibel und verständnisvoll. Oder dass sie die Art von Händen hatten, die eine Frau dazu brachten, nicht länger auf der Hut sein zu wollen.
Aber Emily war immer auf der Hut. Im Berufsleben. Und auch im Privatleben. Sie hatte schon sehr früh gelernt, was passieren konnte, wenn man nicht vorsichtig genug war.
„Das wird jetzt brennen.“
Zacks Worte unterbrachen ihre Gedanken. Sie sah zu, wie er die Flasche Cognac öffnete und etwas Flüssigkeit über die Wunde tröpfelte. Der Schmerz trat unverzüglich und mit wütender Heftigkeit ein. Es war, als hätte ihr jemand glühende Asche direkt in die Wunde gerieben. Emily biss die Zähne zusammen, gab aber keinen Laut von sich.
Er strich mit dem Daumen über ihren Arm, um den hinunterrinnenden Cognac fortzuwischen. Seine Berührung war so sanft und angenehm wie seine Stimme. „Geht es dir gut?“
Trotzig schaute sie ihn an. „Es würde mir sehr viel besser gehen, wenn du mir sagst, wer du bist und was hier vor sich geht.“
„Mein Name ist Zack Devlin. Ich arbeite als Agent für eine Abteilung der CIA, die als MIDNIGHT bekannt ist. Vor vier Monaten wurde ich undercover ins
Bitterroot
eingeschleust, denn allein im letzten Jahr sind mindestens zwölf Insassen unter verdächtigen Umständen gestorben. Mein Auftrag lautete, herauszufinden, warum diese Strafgefangenen umgekommen sind und wer dafür verantwortlich ist.“
Emily spürte, wie ihr das Herz bis zum Hals schlug. Wie ihre Hände zitterten. Und trotz der Wärme des Feuers spürte sie, wie eine Eiseskälte sich in ihrem ganzen Körper ausbreitete.
„Ich habe noch nie etwas von MIDNIGHT gehört“, sagte sie, nachdem sie sich wieder etwas gefasst hatte.
„MIDNIGHT ist eine geheime Sondereinheit innerhalb der CIA. Wir übernehmen Missionen, die niemand anders übernehmen würde. Die Missionen, von denen man niemals in den Sechsuhrnachrichten hört.“
„Ich kann nicht glauben, dass die CIA das Leben eines ihrer Agenten aufs Spiel setzt, indem man ihn in ein Hochsicherheitsgefängnis wie das
Bitterroot
schickt.“
Ohne den Blick
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