Starker als dein Tod

von ihr abzuwenden, zog Zack seine Jacke aus und rollte den Ärmel seines Hemdes hoch, um einen tiefen, sehr präzise geführten Schnitt zu entblößen. Einer, der mindestens so stark geblutet hatte wie ihre Verletzung, dennoch hatte er kein Wort darüber verloren. Emily erinnerte sich, dass ihr das Blut am Morgen aufgefallen war, als er sie auf der Krankenstation überrascht hatte. Sie war davon ausgegangen, dass er Dr. Lionel bei einem kleineren operativen Eingriff überwältigt hatte. Nun war sie nicht mehr so sicher.
    „Mein Vorgesetzter bei MIDNIGHT trifft alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen, damit die Sicherheit seiner Leute gewährleistet ist.“ Er sah hinunter auf die Wunde, die sich auf der Innenseite seines rechten Arms befand. „Man hatte mir vor der Mission einen GPS-Sender implantiert, falls irgendwas passieren sollte und die Agency mich rasch orten müsste. In aller Herrgottsfrühe kamen heute zwei Wärter in meine Zelle, legten mir Fesseln an und brachten mich auf die Krankenstation, wo der Sender entfernt wurde.“
    „Woher wussten sie, dass er da war?“, fragte sie.
    Seine Miene verfinsterte sich. „Die einzige logische Erklärung ist die, dass meine Tarnung aufgeflogen ist.“
    Da sie sich noch nicht entschieden hatte, ob sie ihm glauben sollte, dass er ein Geheimagent sei, ging sie zur nächsten Frage über. „Warum sterben so viele Insassen?“
    „Je weniger du darüber weißt, desto …“
    „Hör auf mit dem Quatsch“, unterbrach sie ihn. „Ich will alles wissen.“
    Hörbar seufzte er und starrte ins Kaminfeuer. „Das
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ist das größte privatisierte Gefängnis im Land. Als Vollzugsbeamtin ist dir sicher bekannt, dass die Einrichtung durch die Regierung und auch durch einige staatliche Stellen kontrolliert wird. Allerdings bedeutet das nicht, dass diese Kontrollen sehr gründlich sind. Und es bedeutet nicht, dass man einige Dinge nicht verbergen kann.“
    „Was für Dinge?“
    Er sah ihr wieder ins Gesicht, und zum ersten Mal bemerkte Emily das Glimmen einer sehr finsteren Emotion, die sie nicht recht einordnen konnte.
    „Du weißt, welche Sorte von Männern im
Bitterroot
endet“, sagte er. „Mörder. Vergewaltiger. Es wurde für die gefährlichsten und gewalttätigsten Straftäter eingerichtet. In vielen Fällen haben sich Freunde und Familien aufgrund der grausamen Verbrechen von den Häftlingen abgewandt. Und manchmal haben sie einfach nur die sonntäglichen Besuche sattgehabt, sodass der Kontakt abbrach. Wenn diesen Insassen etwas geschehen würde, wäre niemand da, der irgendwelche Fragen stellt.“
    „Was willst du damit sagen?“
    „Vor einem Jahr wurde MIDNIGHT von einer anderen Agency kontaktiert. Eine Überprüfung der Gefängnisakten hatte ergeben, dass mehrere Gefangene unter mysteriösen Umständen gestorben waren. Insassen ohne irgendwelche Angehörigen, die Fragen stellen könnten … oder überhaupt Notiz von deren Tod nehmen würden. MIDNIGHT versuchte, sich ein Bild von der Situation zu machen, indem man einige Agenten als vermeintliche Inspekteure der Regierung einschleuste. Doch die Leute bei
Lockdown
verstehen es sehr gut, ihre Geheimnisse zu hüten. Sie sind zurückhaltend mit Informationen und noch zurückhaltender mit dem, was sie ihren eigenen Angestellten und ihrem Management erzählen. Als letzten Ausweg kam mein Vorgesetzter auf die Idee, dass ich undercover in dem Gefängnis ermitteln sollte, und ich habe den Auftrag angenommen. Ich wurde gründlich vorbereitet. Man hat mir eine neue Identität verpasst und gefakte Polizei- und Gerichtsakten über meine vermeintlichen Straftaten angelegt. Dann wurde ich als Häftling in das Gefängnis gebracht.“
    Emilys Gedanken überschlugen sich. „Was geschieht mit den Insassen?“
    „Ich glaube, dass
Lockdown
die Häftlinge für Versuche mit chemischen Waffen missbraucht.“
    Sie kannte die meisten der Gefängniswärter. Sie kannte Dr. Lionel und Marcus Underwood. Sie kannte Direktor Carpenter.
    „Völlig unmöglich, dass
Lockdown
etwas so Abscheuliches dulden würde.“
    „Ich habe die Folgen dieser Experimente mit eigenen Augen gesehen, Emily. Gesunde Männer, die wegen einer Lappalie auf die Krankenstation gebracht wurden und todkrank wiederkamen. Einige von ihnen litten an furchtbaren Hautverletzungen. Andere an schweren Atemwegserkrankungen. Gesunde junge Männer, verletzt und vergiftet und schreiend vor Schmerzen, als man sie in ihre Zellen zurücksteckte. Und das sind die, die