Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Starkes Gift

Starkes Gift

Titel: Starkes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
Vom Netzwerk:
aus.«
    »Aller Wahrscheinlichkeit nach werde ich nicht mehr lange genug leben, um die Probe aufs Exempel zu machen.«
    »Seien Sie doch nicht so pessimistisch«, sagte Wimsey.
    »Ich habe Ihnen vorhin erst lang und breit erklärt, daß ich mich jetzt um die Geschichte kümmern werde. Man könnte glauben, Sie hätten gar kein Vertrauen zu mir.«
    »Es sind auch schon Unschuldige gehängt worden.«
    »Stimmt; nur weil ich nicht zur Stelle war.«
    »So habe ich es nie gesehen.«
    »Sehen Sie es jetzt so. Sie werden den Gedanken sehr schön und anregend finden. Vielleicht hilft es sogar, mich ein wenig über die anderen sechsundvierzig hinauszuheben, falls mein Gesicht kein ausreichendes Unterscheidungsmerkmal ist. Übrigens – ich stoße Sie nicht etwa ab, oder? Dann würde ich nämlich meinen Namen unverzüglich von der Warteliste nehmen.«
    »Nein«, sagte Harriet Vane in freundlichem und ein wenig traurigem Ton. »Nein, Sie stoßen mich nicht ab.«
    »Ich erinnere Sie nicht an weiße Maden, mein Anblick macht Ihnen keine Gänsehaut?«
    »Bestimmt nicht.«
    »Das freut mich. Ein paar unbedeutende Veränderungen wie Mittelscheitel oder Schnurrbart oder einen Verzicht auf das Monokel würde ich gern auf mich nehmen, wenn ich damit Ihren Vorstellungen entgegenkäme.«
    »Bitte nicht«, sagte Miss Vane, »ändern Sie nichts.«
    »Ist das Ihr Ernst?« Wimsey wurde ein wenig rot. »Hoffentlich bedeutet es nicht, daß ich sowieso nichts tun könnte, um mich wenigstens einigermaßen passabel zu machen. Ich werde jedesmal in einer anderen Aufmachung kommen, damit Sie einen möglichst umfassenden Eindruck von dem Objekt gewinnen können. Bunter – das ist mein Diener – wird dafür sorgen. Er hat in puncto Krawatten, Socken und dergleichen einen ausgezeichneten Geschmack. Na ja, ich glaube, ich sollte jetzt gehen. Sie – äh – werden darüber nachdenken, wenn Sie eine Minute Zeit haben? Es hat keine Eile. Nur sagen Sie mir ohne Hemmungen, wenn Sie finden, daß Sie mich um keinen Preis ertragen könnten. Ich will Sie nämlich nicht zur Ehe erpressen, verstehen Sie? Ich meine, ich nehme Ihren Fall so oder so in die Hand, schon aus reiner Neugier.«
    »Das ist sehr nett von Ihnen –«
    »Nein, nein, ganz und gar nicht. Das ist mein Steckenpferd. Nicht Heiratsanträge zu machen, das meine ich nicht, sondern Detektiv zu spielen. Also, Kopf hoch und Ohren steif und so weiter. Ich besuche Sie wieder, wenn ich darf.«
    »Ich werde den Diener anweisen, Sie vorzulassen«, sagte die Untersuchungsgefangene würdevoll. »Sie treffen mich jederzeit zu Hause an.«
     
    Wimsey ging, fast benommen, die schmutzige Straße hinunter.
    »Ich glaube, ich kann es schaffen – sie ist natürlich zutiefst verletzt – kein Wunder, nach diesem Ekel – aber sie fühlt sich nicht abgestoßen – damit könnte man sich nicht abfinden, jemanden abzustoßen – eine Haut wie Honig hat sie – sie sollte Dunkelrot tragen – und Granat – und viele Ringe, eher altmodische – ich könnte uns natürlich ein Haus mieten – armes Kind, ich würde mir wirklich alle Mühe geben, sie zu entschädigen – Humor hat sie auch – und Verstand – langweilig wäre es nicht – man würde aufwachen und hätte einen ganzen Tag vor sich, an dem lauter schöne Dinge passieren könnten – und dann würde man nach Hause kommen und zu Bett gehen – das wäre auch schön – und während sie schreibt, könnte ich mich in der Weltgeschichte herumtreiben, so würde es uns beiden nicht langweilig – ob Bunter mit diesem Anzug wirklich den richtigen Griff getan hat? – ein bißchen dunkel, finde ich immer, aber der Schnitt ist gut –«
    Er blieb vor einem Schaufenster stehen, um heimlich sein Spiegelbild zu betrachten. Sein Blick fiel auf eine große bunte Reklame:
     
    RIESEN-SONDERANGEBOT
GILT NUR EINEN MONAT
     
    »O Gott«, sagte er leise, plötzlich ernüchtert. »Ein Monat vier Wochen – einunddreißig Tage. Das ist nicht viel Zeit. Und ich weiß noch nicht einmal, wo ich anfangen soll.«

5. Kapitel
    »Also«, sagte Wimsey, »was bringt Menschen dazu, Menschen zu töten?«
    Er saß in Miss Katherine Climpsons Privatbüro. Nach außen war das Ganze ein Schreibkontor, und es gab hier auch drei sehr tüchtige Schreibkräfte, die gelegentlich ausgezeichnete Arbeit für Schriftsteller oder Wissenschaftler leisteten. Scheinbar war es ein großes und blühendes Unternehmen, denn oft mußten Aufträge mit der Begründung abgelehnt werden, daß die Belegschaft

Weitere Kostenlose Bücher